Türkische Gemeinde in Berlin gespalten: Ärger unter Stern und Halbmond
Die Türkische Gemeinde Berlin wird von heftigem Streit erschüttert. Ein Ex-Vorstand wirft dem anderen Schulden und Untätigkeit vor. Ehemalige Mitglieder gründen neue Organisation.
Ein wochenlanger Streit in der Türkischen Gemeinde Berlin (TGB) über Schulden und unrechtmäßige Vorstandswahlen hat nun zu einer Abspaltung geführt. "Türkische Gesellschaft für politische und soziale Lösungen" heißt der neue Verein, den der ehemalige Generalsekretär der TGB, Celal Altun, gegründet hat. Er habe die "Schlammschlacht" beenden und sich "effizienter Arbeit" zuwenden wollen, sagte er der taz.
Die Türkische Gemeinde Berlin ist eine Dachorganisation aus 51 überwiegend konservativen und religiösen Vereinen. Sie betrachtet sich als Konkurrenz zum sozialdemokratisch orientierten Türkischen Bund Berlin (TBB), ist faktisch jedoch weit davon entfernt. Zwar versammelt der TBB mit 24 Mitgliedsvereinen nur halb so viele Organisationen unter seinem Dach wie die TGB. Er ist allerdings erheblich erfolgreicher in der Projektarbeit. Während der Türkische Bund beispielsweise Berufsqualifizierungs- und Beratungsprojekte anbietet und überdies eine wichtige Rolle als integrationspolitischer Ansprechpartner in Berlin spielt, ist die Türkische Gemeinde Berlin bislang vor allem mit der Organisation des jährlichen "Türk Günü" in Erscheinung getreten, eines türkischen Umzugs mit anschließendem Volksfest am Brandenburger Tor, bei dem auch extrem nationalistische Gruppierungen der türkischen Community vertreten sind.
Kritik an der ansonsten eher als dürftig betrachteten Aktivität des Vorstands führte bei den TGB-Vereinswahlen Anfang November zum Eklat. Mit einer Stimme Vorsprung und völlig überraschend löste dort der bislang außerhalb der Gemeinde nahezu unbekannte Bekir Yilmaz den langjährigen Präsidenten Taciddin Yatkin ab. Der sofortigen Anfechtung der Wahl durch Vereinsmitglieder gab das Amtsgericht Charlottenburg statt - an der Wahl hatten nicht wahlberechtigte Personen teilgenommen. Was folgte, ähnelte tatsächlich einer Schlammschlacht: Während der vom Gericht abgesetzte dem abgewählten Vorstand vorwarf, Schulden des Vereins verschwiegen zu haben, ließ Letzterer die Schlösser der Vereinsräume auswechseln.
Er habe "einiges anders machen, professioneller arbeiten" wollen, sagt der 41-jährige Bekir Yilmaz, der neue Exvorsitzende der TGD. Nicht wenige vermuten, dass mit seiner Wahl noch etwas mehr als neuer Schwung in die Gemeinde kommen sollte. Yilmaz werden gute Verbindungen in sehr religiöse Kreise nachgesagt. Es gebe solche Befürchtungen bei vielen Mitgliedern der Gemeinde, bestätigt der alte Exvorsitzende Yatkin - er selbst wolle dazu keine Stellung nehmen. Zu dem Vorwurf, der Gemeinde Schulden hinterlassen zu haben, hat er sich unterdessen geäußert: 22.000 Euro Gema-Gebühren seien von einer Großveranstaltung am Brandenburger Tor noch offen, sagte er auf einer Pressekonferenz, zu der allerdings nur türkischsprachige Medien eingeladen wurden.
Yilmaz wiederum streitet jede Verbindung zu religiösen Extremisten ab und beziffert die Schulden der Gemeinde auf 70.000 Euro. Bei der für Januar geplanten erneuten Wahl des TGB-Vorstands will er nicht wieder antreten - Yatkin schon. Nicht ausgeschlossen, dass die TGD dann eine weitere Abspaltung erlebt. Die erste Neugründung, die "Türkische Gesellschaft", will sich politisch noch nicht positionieren. Er wolle mit seinem Verein "die moderaten Kräfte der Gesellschaft" ansprechen und vor allem Jugendarbeit betreiben, sagt Celal Altun. Religion solle "eine zentrale Rolle spielen". Ihm nachgesagte Verbindungen zu den Grauen Wölfen streitet er ab. Er sei aber ein sehr patriotischer Mensch, sagt Altun: "Meine Fahne ist Halbmond und Stern."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestellerautor will in den Bundestag
Nukleare Drohungen
Angst ist ein lautes Gefühl
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland