Türkische Gefangene: Hungern für bessere Haftbedingungen
Gefangene in der Türkei kämpfen per Hungerstreik gegen die katastrophale Situation in den Gefängnissen. Ihr Zustand ist kritisch.
Am 15. Februar 2017 waren die ersten Gefangenen im Şakran-Hochsicherheitsgefängnis in Izmir in einen Hungerstreik getreten. Bald schlossen sich Inhaftierte aus Gefängnissen in der ganzen Türkei an.
Die türkischen Gefängnisse sind wegen der vielen Verhaftungen nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 völlig überfüllt: Laut dem Menschenrechtsverein İnsan Hakları Derneği (IHD) wurden mehr als 5.000 Oppositionelle und weitere 45.000 Menschen festgenommen, denen eine Beteiligung am Putschversuch vorgeworfen wird. Selbst eine Amnestie für Kleinkriminelle habe das Problem der überfüllten Haftanstalten nicht gelöst.
Seit dem Putschversuch seien die Gefangenen zunehmend Gewalt und Folter ausgesetzt, berichtet Necla Şengül von der Gefängniskommission des IHD. Şengül besucht Gefängnisse in der ganzen Türkei, um die Haftbedingungen zu beobachten.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch kritisierte schon im Oktober 2016 in einem Bericht, dass die türkische Polizei Menschen in Haft gefoltert und misshandelt habe, nachdem mit den im Ausnahmezustand erlassenen Notverordnungen wichtige Schutzvorschriften außer Kraft gesetzt worden seien. In dem Bericht ist die Rede von „Folter durch Stresspositionen, Schlafentzug, schwerer Prügel, sexuellem Missbrauch und Vergewaltigungsdrohungen“.
Necla Şengül, IHD
„Indem sie Vorschriften zum Schutz vor Folter außer Kraft setzte, hat die türkische Regierung den Sicherheitsbehörden de facto einen Blankoscheck ausgestellt, Gefangene zu foltern und zu misshandeln“, kritisiert Hugh Williamson, Leiter der Abteilung Europa und Zentralasien von Human Rights Watch.
Der Gesundheitszustand der Hungerstreikenden ist kritisch. „Es gibt Gefangene, die 16 Kilo verloren haben. Sie sind nicht in ärztlicher Behandlung“, berichtet Şengül. Das Justizministerium reagiere nicht auf die Forderungen der Gefangenen: „Die Hungerstreikenden werden dem Tod ausgesetzt.“
Gemeinsam mit anderen Organisationen fordert der IHD das Justizministerium auf, regelmäßige Gesundheitskontrollen der Gefangenen zu gestatten und mit den Hungerstreikenden in einen Dialog über deren Forderungen zu treten. „Inzwischen gibt es in fast jedem türkischen Gefängnis Inhaftierte, die aus Solidarität in einen fünftägigen Hungerstreik treten“, so Şengül.
Anfang April waren auch der inhaftierte Ko-Vorsitzende der prokurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtaş, und der HDP-Abgeordnete Abdullah Zeydan in einen befristeten Solidaritätshungerstreik getreten. Nachdem die Leitung der Haftanstalt von Edirne auf die Forderungen der Hungerstreikenden eingegangen war, beendete Demirtaş seine Aktion.
Doch die Gefangenen in acht Gefängnissen setzen ihren Protest fort. „Mit dem Hungerstreik sind wir am letzten Punkt des Widerstands gegen die schlechte Behandlung der Inhaftierten angekommen“, sagt Şengül auf dem Weg zum Gefängnis in Mardin.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Prozess zu Polizeigewalt in Dortmund
Freisprüche für die Polizei im Fall Mouhamed Dramé
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Proteste in Georgien
Wir brauchen keine Ratschläge aus dem Westen
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione