Türkische Atompläne: Kernkraftwerk auf Erdbebenspalte
Die Türkei will ihren Energiehunger mit neuen Meilern stillen. Bis 2023 sollen 23 Reaktoren am Netz sein. Die wenigen AKW-Gegner im Land haben es schwer.
BERLIN taz | In seiner Heimat hat er keinen leichten Stand. Es gibt nur wenige, die sich in der Türkei so für das Energiesystem der Zukunft interessieren wie Korol Diker. „Eigentlich ist die Mehrheit der Bevölkerung gegen Atomkraft“, glaubt der Kopf der Initiative Grünes Denken in Istanbul. „Doch die Menschen sind müde, weil sie keine Reaktion auf ihren Protest erhalten.“ Dennoch hofft der 32-Jährige, dass seine Anti-AKW-Gruppe die Atompläne der Regierung verhindern kann.
Doch bislang will die Türkei Atomkraftwerke bauen. Energieminister Taner Yildiz tönt sogar, bis 2023 wolle er 23 Anlagen errichten – dann jährt sich die Gründung der Republik zum 100. Mal. Konkret geplant sind zunächst drei Meiler. Einer davon soll in Akkuyu nahe der Küstenstadt Mersin entstehen, betrieben vom russischen Staatskonzern Rosatom.
Pläne für die vier Reaktoren mit einer Kapazität von 4.800 Megawatt gibt es bereits seit 1976. Doch dann fand sich lange kein Investor, Gerichte stoppten das Vorhaben wegen Formfehlern in der Ausschreibung. 2008 schloss Ankara mit den Russen den Vertrag ab.
Was lange nicht klar war: Das Kraftwerk soll in unmittelbarer Nähe zum sogenannten Ecemis-Graben entstehen. Hier treffen die Eurasische und die Afrikanische Kontinentalplatte zusammen – das birgt die Gefahren von Erdbeben. Gutachter von 1976 plädieren deshalb heute dafür, „das abenteuerliche Vorhaben“ zu stoppen.
Energiebedarf wächst jährlich um acht Prozent
Das scheint schwer: Ende März hielten Vertreter von Rosatom, Energie- und Umweltministerium das sogenannte umwelttechnische Briefing mit den lokalen Behörden in Mersin ab. Bei der öffentlichen Veranstaltung trugen Aktivisten auch Argumente gegen den Reaktorbau vor. „Die Behördenvertreter gingen darauf mit keinem Wort ein“, berichtet Korol Diker. „Am Ende erklärten sie das Briefing für erfolgreich abgeschlossen“, sagt der studierte Soziologe.
Die Argumente für die Atompläne sind seit 1976 dieselben: Die Türkei müsse mit ihrer Energieversorgung endlich autark werden und das hohe Außenhandelsdefizit abbauen. Neu ist die Dringlichkeit, mehr Energie zu produzieren: Der Bedarf des Boomlands wächst derzeit mit etwa 8 Prozent jährlich.
Fossile Rohstoffe decken noch 90 Prozent des Energiebedarfs. Öl und Gas kommen vor allem aus Russland, Aserbaidschan, Iran und dem Irak – fatal für die Außenhandelsbilanz der Türkei. Deshalb soll der Anteil der Atomkraft am Strommix 2030 bei 10 Prozent liegen.
„Das als Strategie gegen die Abhängigkeit vom Ausland anzuführen ist lächerlich“, sagt Necdet Pamir, Energieexperte an der Universität Bilkent in Ankara. Mit dem Bau der Meiler mache sich der Staat vom Ausland abhängig. Rosatom solle für immer Betreiber der Reaktoranlage in Akkuyu bleiben – inklusive der Garantie des türkischen Staats, 70 Prozent des erzeugten Stroms abzunehmen. „Was soll daran unabhängig sein?“, fragt Pamir.
Ausbau der Photovoltaik unterentwickelt
Die Türkei könnte viel selbstständiger sein, wenn sie wollte. In vielen Wohngebieten fallen sofort die farbigen Tonnen auf den Dächern auf. Angedockt an Solarpanels fangen sie die Energie der Sonne ein und versorgen Haushalte mit Warmwasser. Während die Türkei bei Solarthermie weltweit Nummer zwei ist, sind die Möglichkeiten der Photovoltaik kaum ausgeschöpft, findet Korol Diker. Die Folge: Die installierte Leistung liegt bisher bei erst sechs Megawatt, Deutschland erzeugt bei viel weniger Sonne 7.500 Megawatt.
Um zu verhindern, dass die Regierung mit ihren Atomplänen durchkommt, bereitet Diker auch den Gang vor die Gerichte vor: Die Genehmigung für Akkuyu verstoße gegen internationales Recht, glaubt der Aktivist. Auch der Westen und die EU müssten ein Interesse haben, den Bau des Meilers in der Erdbebenregion zu stoppen, sagt Diker. Und: „Wir brauchen diese internationale Unterstützung!“
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