Türkische AkademikerInnen: Freiheit der Wissenschaft in Gefahr

Akademiker*innen aus der Türkei bekommen auch in Deutschland Repressionen zu spüren. Türkische Nationalisten haben versucht, ein Workshop in Berlin zu den Massakern an Armeniern zu sabotieren.

Totengedenken für die Opfer der Massaker im Osmanischen Reich. Hier im Jahr 2014 Foto: dpa

Gegner der Genozid-Forschung, allen voran die nationalistische und kemalistische Vatan-Partei, haben WissenschaftlerInnen in der Türkei in den letzten Wochen gezielt daran gehindert, am vergangenen Wochenende an einer Tagung der Workshop-Reihe „Workshops über armenische und türkische Forschung“ (WATS) in Berlin teilzunehmen.

Die Tagungen zur Forschungslage rund um das Massaker an den Armeniern finden regelmäßig – und unabhängig von aktuellen politischen Ereignissen – seit 2000 in unterschiedlichen Ländern statt. Zuletzt 2015 in Istanbul. Die Tagung richtete in diesem Jahr das Lepsiushaus in Potsdam gemeinsam mit den Universitäten Michigan und Südkalifornien in der Europäischen Akademie in Berlin aus.

Das Lepsiushaus ist eine Begegnungs- und Forschungsstätte zur Aufarbeitung insbesondere des Genozids an Armeniern. Rolf Hosfeld vom Lepsiushaus sieht in der Kampagne von Ultrationalisten gegen die Tagung den Versuch, innenpolitisch Stimmung zu machen. „Wir wollen die Türkei nicht anklagen. Wir wollen nur über wissenschaftliche Fragen diskutieren.“

Eine der prominentesten Stimmen auf der gegnerischen Seite ist der Genozidleugner Doğu Perinçek, Vorsitzender der Partei Vatan, zu deutsch Vaterland. In der Tageszeitung Aydınlık (Aufklärung) verbreitet er als Autor seine kemalistischen und ultranationalistischen Thesen. In der Aydinlik ist von „Türkeifeindlichkeit“ und einem „Irrglauben an einen Genozid“ die Rede, wenn über die Tagung berichtet wird.

Vorwurf: „Beleidigung des Türkentums“

Andere lokale Medien haben die Kampagne der Partei aufgegriffen. Perinçek selbst betrachtet den Zweck der Berliner Tagung als „Kriegspropaganda der USA.“ Diese trachteten danach, die Türkei zu teilen um im Südosten des Landes ein „Großkurdistan“ zu errichten und damit ein „zweites Israel.“ Perinçek forderte den türkischen Hochschulrat (YÖK) auf, „die Universitäten und ihre Lehrbeauftragten an diesen türkeifeindlichen Aktivitäten zu hindern.“

Die Medienkampagne trägt Früchte: Eine andere kemalistisch-nationalistische Partei, Halkın Kurtuluş Partisi (HKP), auf deutsch etwa: Partei zur Rettung des Volkes, erstattete bei der Oberstaatsanwaltschaft in Istanbul Anzeige gegen die Präsidenten der Universitäten Koç und Sabancı, und gegen die Akademikerinnen Hülya Adak und Zeynep Türkyilmaz – wegen Beleidigung der Türkentums nach Paragraph 301.

Exil-WissenschaftlerInnen sehen hier einen massiven Übergriff – ausgehend nicht nur von der Vatan-Partei. „Der türkische Staat attackiert die Freiheit der Wissenschaft nicht mehr nur innerhalb ihrer eigenen Grenzen. Er interveniert auch in Ländern, in denen derzeit AkademikerInnen aus der Türkei gezwungen sind, vor politischer Verfolgung ins Exil zu gehen,“ sagen die „Akademiker*innen für den Frieden“ in Deutschland. Diese Haltung der Türkei sei mittlerweile zu einem internationalen Problem geworden.

Genozidleugner zu Gast in der Bundespressekonferenz

Die Sabancı-Universität erklärt in einer Pressemitteilung, dass sie nicht als Institution an der Tagung beteiligt sei. Es stehe angestellten WissenschaftlerInnen frei, die Ergebnisse ihrer Forschung in der Öffentlichkeit zu teilen – unabhängig von der Forschungsstätte, an der sie tätig sind. Sehr zum Ärger der Universität halten die Kritiker das Logo der Hochschule auf der Webseite der Workshop-Veranstalter für einen eindeutigen Beweis für deren Unterstützung.

Zwischenzeitlich wurde das Logo gelöscht. Aufgrund der Medienkampagne konnte Hülya Adak von der sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität an der Tagung nicht teilnehmen, auch andere Lehrbeauftragte von türkischen Universitäten waren betroffen.

Am vergangenen Donnerstag ist Doğu Perinçek auf Einladung einer türkischen Nachrichtenagentur zu Gast im Haus der Bundespressekonferenz. Seine dort verbreitete These lautet, dass Universitäten keine Gerichte und Wissenschaftler keine Richter seien, die darüber entscheiden können, ob die Ereignisse von 1915 tatsächlich als Genozid einzustufen sind. Dies könnten nur Internationale Gerichtshöfe oder Gerichte des betreffenden Landes entscheiden, so Perinçek weiter.

„Erst recht über den armenischen Genozid sprechen“

Bei der Gelegenheit weist er auf ein Gerichtsurteil des Europäischen Gerichtshofes hin. 2015 erkannte der Gerichtshof Perinçek im Rahmen der Meinungsfreiheit das Recht zu, den Genozid zu leugnen. Zugleich verwies das Gericht damals auf das Völkerrecht. Es könne nicht darüber entscheiden, ob es sich bei den Ereignissen von 1915 tatsächlich um einen Genozid handele.

Perinçek wollte an der Tagung teilnehmen wie einige andere Gegner der Genozid-These aus kemalistisch-nationalistischen Parteien und Vereinen in Deutschland auch – aber keiner der Gegner bekam eine Zusage.

„In diesem Klima müssen wir erst recht über den armenischen Genozid sprechen“, glaubt Yektan Türkyilmaz, einer der Teilnehmer der Tagung. „Die Türkei hat heute ähnliche Probleme. Heute sind andere Gruppen und Gesellschaften in Gefahr.“ Zu den Bedrohten gehören die Wissenschaftler*innen, die sich in der Türkei für den Frieden einsetzen. Die „Akademiker*innen für den Frieden“ sammelten im Jahr 2016 Unterschriften für ein Ende des Millitäreinsatzes der türkischen Armee in den südöstlichen Gebieten der Türkei. Viele wurden daraufhin suspendiert. Laut den Akademiker*innen für den Frieden befinden sich mehr als Hundert Wissenschaftler*innen aus der Türkei nun in Deutschland.

Türkische Behörden haben gestern erneut versucht, Einfluss auf eine, in Berlin geplante Veranstaltung zu nehmen. Bei der von der Stiftung, „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ (EVZ) geförderten Veranstaltung handelt es sich um einen Workshop mit dem Titel „Genozid im Schulunterricht am Beispiel des Osmanischen Genozids“. Das türkische Außenministerium hat gestern deshalb den deutschen Botschafter Martin Erdmann einbestellt.

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