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■ Türkei: Der Eklat um die Verlegerin Zarakoglu und der EU-BeitrittZeit für einen Neuanfang

Der Eklat um die türkische Verlegerin Ayșe Nur Zarakoglu verschlechtere die Aussicht der Türkei auf eine Mitgliedschaft in der EU, meint der bündnisgrüne Abgeordnete Cem Özdemir. Abgesehen davon, daß sie kaum noch schlechter sein kann, als sie ohnedies schon ist, hört die Stellungnahme des Grünen sich für die Regierenden in Ankara erst einmal genauso an wie alles andere, was sie in den letzten Jahren zu hören bekamen.

Es gibt allerdings einen entscheidenden Unterschied, der den Verantwortlichen in der Türkei hoffentlich klar ist. Die Bundesregierung unter Kohl hat Menschenrechtsfragen gegenüber der Türkei vorgeschoben, um einen Beitritt des Landes aus ganz anderen Gründen ablehnen zu können. Für Özdemir und die Grünen insgesamt gilt das genaue Gegenteil. Sie sind tatsächlich für einen Beitritt der Türkei, wenn diese bereit ist, Demokratie und Menschenrechte nach europäischen Standards zu handhaben.

Die türkische Regierung hat den Machtwechsel in Deutschland begrüßt, weil sie die Hoffnung hegt, daß eine rot-grüne Regierung der Türkei nicht deshalb ablehnend gegenübersteht, weil das Land muslimisch ist. Jetzt wird sie sich umgekehrt auch nicht mehr dahinter verstecken können, daß den Deutschen und der EU die Menschenrechte im Prinzip sowieso egal sind. Es ist Zeit für einen Neuanfang auf beiden Seiten. Wenn die kommende Bundesregierung sich wirklich für einen türkischen EU-Beitritt stark machen will, kann man endlich auch ernsthaft über die Bedingungen dafür reden. Die Menschenrechtssituation ist vor allem im Zusammenhang mit der kurdischen Frage nach wie vor skandalös und das demokratische Bewußtsein in Ankara häufig mehr als bescheiden. Selbstverständlich kann die EU kein Land akzeptieren, in dem die Militärs die eigentlichen Herrscher sind.

Das wird alles nicht auf einen Schlag zu ändern sein, sondern viel Zeit brauchen. Gerade im Verhältnis EU–Türkei aber gilt: Der Weg ist auch das Ziel. Wenn der Integrationsprozeß in Gang gesetzt wird, wenn konkrete Schritte vereinbart werden, gibt es auch die Chance, in Ankara Veränderungen durchzusetzen. Zug um Zug könnte dann ein Programm umgesetzt werden, bei dem auf eine Integrationsmaßnahme eine entsprechende Veränderung in der Türkei erfolgt. Am Ende könnte dann ein verändertes Land in 15 bis 20 Jahren vollwertiges Mitglied der EU sein. Sowohl die EU als auch die Menschen in der Türkei würden dabei viel gewinnen. Jürgen Gottschlich

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