Tschetscheniens Präsident Kadyrow: Ich, Kadyrow, Kaiser und Gott
Lange wurde der jung ins Amt beförderte tschetschenische Präsident Kadyrow vom russischen Präsidenten Putin protegiert. Doch allmählich wird er für Russland zum Problem.
MOSKAU taz | Ramsan Kadyrow schätzt Ordnung. Seine Ordnung, versteht sich. Erst Anfang dieses Monats trug ihm der russische Präsidenten Dmitri Medwedjew auf, in Inguschetien für Ordnung zu sorgen. "Ich leite, lenke und kontrolliere die Operation persönlich", sagte der tschetschenische Präsident hinterher voller Stolz und Freude. Im Juni war Inguschetiens Präsident Junus-Bek Jewkurow von einem Selbstmordattentäter schwer verletzt worden. An Kadyrow erging der Auftrag, die in islamistischen Terrorkreisen vermuteten Verantwortlichen dingfest machen. "Wir werden in Zukunft gute Ergebnisse haben", versprach der Tschetschene.
Der Kreml vertraut nach wie vor auf den starken Mann von Grosny. Seit er vor fünf Jahren, im Alter von gerade einmal 29 Jahren, die Geschäfte seines Vaters Achmat Kadyrow übernahm, der bei einem Attentat ums Leben gekommen war, hat sich die Lage in Tschetschenien stabilisiert. Die russische Regierung dankte es ihm durch großzügige finanziellen Zuwendungen. Der leidenschaftliche Boxer baute Grosny wieder auf, ließ Gasleitungen legen und Straßen asphaltieren. Auch große Teile der Bevölkerung erkennen diese Leistungen an. Nach zehn Jahren Krieg wollen die Tschetschenen ein normales Leben führen.
Doch das hat in Tschetschenien seinen Preis: Kadyrow erstickte jede Opposition und regiert als selbstherrlicher Autokrat. Jede abweichende Meinung gilt als Verrat. Die ermordete Menschenrechtsaktivistin Natalja Estemirowa war eine der wenigen, die noch zu widersprechen wagte. Darum hatte Kadyrow sie auch aus allen Kommissionen entfernt, die sich mit Rechtsverletzungen befassen.
Für Angst und Unterwerfung sorgten schon in den ersten Jahren seiner Ägide die Todesschwadronen, die unliebsame Bürger entführten und hinrichteten. Sie sollen seinem Befehl unterstanden haben. Niemand wurde für die Verbrechen jemals zur Rechenschaft gezogen. Der Grund ist einfach: Als Dank für Loyalität gegenüber dem Kreml stellte der damalige Präsident Wladimir Putin dem tschetschenischen Tyrannen einen Freibrief aus.
Auch als Premierminister steht Putin zu seinem Günstling. Anders sehen die zahlreichen Sicherheitsapparate die Figur Kadyrows. Der Geheimdienst FSB und die Armee misstrauen dem nassforschen Republikfürsten - schon allein deshalb, weil er durch die Aufhebung des Sonderregimes ihren Einfluss beschnitt und den Zugang zu Einnahmequellen kappte.
Hinzu kommt ein weiterer Grund: Tschetschenien hat durch die Zugeständnisse der russischen Führung einen beachtlichen Grad an Unabhängigkeit erreicht. "Wir haben heute eine Selbständigkeit erlangt, für die wir vorher die ganzen Jahre vergebens gekämpft haben", meint ein ehemaliger Rebell, der jetzt in Kadyrows Streitkräften dient. Die früheren Separatisten bilden die wichtigste militärische und politische Kraft in Tschetschenien. Sie zu gewinnen war ein Geniestreich Kadyrows. Paradoxerweise ist es die ehemalige Opposition, die heute die Republik fest im Griff hält. Auch die Rolle des Islams ist unter dem Muftisohn Ramsan Kadyrow gewachsen, der die Religion instrumentalisiert, um politische Ziele zu erreichen. Der Islam ist ein wichtiges Element für den Aufbau einer traditionalistischen und rückwärtsgewandten Gesellschaft, wie sie Kadyrow vorschwebt.
Zwar hatte Putin nach dem Krieg versprochen, dass die Tschetschenen eines Tages wieder für sich selbst entscheiden können. Wie weit das einmal gehen könnte, hatte er damals wohl nicht vor Augen. De facto genießt die Republik Sonderstatus. Demnächst wird in Grosny noch ein internationaler Flughafen eröffnet, in dem manche schon jetzt eine Drehscheibe für dunkle Geschäfte sehen.
In der Bevölkerung stärkt der Selbstbehauptungswille gegenüber Moskau Ramsans Position. Auch andere Republikfürsten im Nordkaukasus ließ der Kreml gewähren, solange sie der Machtzentrale Loyalität bezeugten - mit dem Ergebnis, dass in vielen Republiken von einer Staatlichkeit im eigentlichen Sinn keine Rede mehr sein kann.
Die Gefahr, die von Tschetschenien ausgeht, ist jedoch weit größer. Kadyrow träumt in dem ethnischen Schmelztiegel Kaukasus von einem Großtschetschenien mit ihm als Kalifen. Der Auftrag, in Inguschetien für Ordnung zu sorgen, kam ihm daher gelegen. Ohnehin würde er gerne den ethnisch verwandten Nachbarn auch gegen dessen Willen unter seine Fittiche nehmen. Der Ausbruch eines bislang schwelenden Konflikts zwischen Osseten und Inguschen wäre damit vorprogrammiert. Auch dem östlichen Nachbarn Dagestan präsentierte Kadyrow territoriale Ansprüche. Der einst folgsame Bewunderer Putins gerät allmählich außer Kontrolle und wird für Russland zum Problem.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Streit um Russland in der AfD
Chrupalla hat Ärger wegen Anti-Nato-Aussagen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos