Tschetscheniens Präsident Kadyrow: "Wir erledigen sie in wenigen Minuten"
Für Putin ist er ein Mann des Friedens, für Kritiker ein Mann des Terrors. Der Präsident der russischen Teilrepublik, Ramsan Kadyrow, über Aufständische, Versöhnung und sein Idol in Moskau.
taz: Herr Kadyrow, Sie haben den Titel "Präsident Tschetscheniens" abgelegt, da Sie der Meinung sind, in Russland dürfe es nur einen Präsidenten geben. Wie darf man Sie ansprechen?
Ramsan Kadyrow: Einfach mit Ramsan.
Die österreichische Staatsanwaltschaft wirft Ihnen Beteiligung am Mord an dem tschetschenischen Oppositionellen Umar Israilow vor, der im Januar 2009 in Wien getötet wurde. Das Gericht will sie nun per Videokonferenz befragen. Was sagen Sie dazu?
Ich habe mit den Ereignissen in Österreich nichts zu tun. Das wissen alle sehr gut, die diese Lüge verbreiten. Indem sie den Namen Kadyrow erwähnen, versuchen sie, eine PR-Kampagne in eigener Sache zu betreiben.
Gibt es die Todesschwadronen und Todeslisten, von denen der österreichische Grünen-Chef Peter Pilz spricht?
Das ist eine absurde Behauptung! Wenn er die Liste mit den Namen hat, soll er die doch den Behörden vorlegen. Als Oberhaupt Tschetscheniens möchte ich mich an die Tschetschenen in Österreich und Europa mit dem Aufruf wenden, auf solche Propaganda nicht hereinzufallen.
Es existiert keine Liste?
Was kann das für eine Todesliste sein, wenn der Mufti des ehemaligen Tschetschenien, Bai-Ali Tewsijew, aus Österreich zurückkehrt ist und heute Imam der zentralen Moschee und Vizebürgermeister von Grosny ist? Hunderte kehrten heim. Wer solche Gerüchte in die Welt setzt, will nicht zur Kenntnis nehmen, dass sich Tschetschenien von den beiden Kriegen langsam erholt und alte Verletzungen verheilen.
Ramsan Kadyrow, 34, ist das Oberhaupt der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Der moskautreue Herrscher trat im Jahr 2007 als Präsident das Erbe seines Vaters Ahmed Kadyrow an, der drei Jahre zuvor bei einem Attentat ums Leben gekommen war. Im Zweiten Tschetschenienkrieg führte er die Miliz "Kadyrowzy", die im Ruf steht, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Die Staatsanwaltschaft Wien wirft ihm vor, an der Ermordung eines tschetschenischen Oppositionellen in Wien beteiligt gewesen zu sein. Das Gespräch mit Kadyrow fand in seiner Residenz in Gudermes statt.
Aber in den letzten Monaten häufen sich die Terroranschläge wieder. Auch Ihr Heimatdorf Zentoroi und das Parlament in Grosny wurden angegriffen.
Wer behauptet, dass der Terror zugenommen hätte?
Der stellvertretende russische Generalstaatsanwalt zum Beispiel, der im Oktober von 254 Anschlägen seit Jahresbeginn berichtet hat.
Es gab dieses Jahr keinen einzigen Terrorakt. Für mich sind es Satane, Feinde des Volkes, die versuchen, ihr Unwesen zu treiben. Mein Heimatdorf Zentoroi ist ein sehr sicherer Ort. Wer reingeht, kommt nicht mehr raus. Die 12 Todeskandidaten haben wir auf der Stelle vernichtet. Wir erledigen sie in wenigen Minuten, egal wo sie auftauchen. So war es auch beim Überfall auf das Parlament. Ein paar Dutzend sind übrig, die werden wir auch ausschalten. Das können wir gut.
Es gibt also doch Anschläge.
Überall auf der Welt gibt es Terroristen. Nur wenn sie in Russland und gerade in Tschetschenien auftauchen, ruft das besonderes Interesse hervor. Und immer ist das mit meinem Namen verknüpft. Schaut her, bei Kadyrow! Dabei ist es bei uns absolut ruhig.
Wie konnten die Terroristen nach Zentoroi gelangen?
Jeder, der will, kann dorthin. Zentoroi ist frei zugänglich, ohne verschärfte Sicherheitsvorkehrungen.
Sie haben mehrfach behauptet, Ihnen lägen Beweise vor, dass westliche Geheimdienste die Terroristen unterstützen, um Russland zu schwächen. Was sind das für Beweise?
Dazu stehe ich auch heute. Terrorist Nummer eins ist Ahmed Sakajew, der in London politisches Asyl erhielt.
Sie meinen den Ministerpräsidenten der separatistischen Exilregierung.
Sakajew ist der Kopf der Terroristen, der die Gelder für den Anschlag auf meinen Vater Ahmed Kadyrow, den ersten Präsidenten Tschetscheniens, bereitgestellt und auch die Überfälle auf Zentoroi und das Parlament finanziert hat. Europa kämpft angeblich gegen Terroristen, unseren bietet es jedoch Schutz. Viele tschetschenische Terroristen können sich in Polen, Österreich und England frei bewegen.
Die vorgelegten Beweise entsprachen in keinem Fall den internationalen Standards für ein Auslieferungsverfahren.
Leute, die sich von den Terroristen losgesagt haben, berichteten, dass sie über Jahre vom georgischen und von westlichen Geheimdiensten ausgebildet wurden und von ihnen auch mit Stinger-Raketen ausgerüstet wurden. Warum schicken uns unsere georgischen Brüder unter Führung Saakaschwilis diese terroristischen Satane ins Land? Saakaschwili, der aufhört zu atmen, wenn ihm die USA das nicht befehlen. Wenn die USA den Nordkaukasus beherrschen, können sie noch mehr diktieren.
Warum sollten die USA das tun?
Sie wollen, dass sich Russland nicht sicher fühlt. Früher lief das auch über die Ukraine, wo heute, Allah sei Dank, wieder normal denkende Leute an der Führung sind. Der Kaukasus ist Russlands Grenze und eine ganz zentrale Region. Tausende Beispiele der Infiltration könnte ich noch anführen, ich möchte aber nicht alle Karten offenlegen.
Der terroristische Untergrund im Nordkaukasus hat sich gespalten in Islamisten und Separatisten. Was bedeutet das für Tschetschenien?
Für uns hat das keine Bedeutung. Sollen sie sich doch gegenseitig beschmutzen, das ist nur ein zusätzlicher Beweis, dass es ihnen nicht um den Menschen geht. Sie wiegeln die Bevölkerung zum Dschihad auf, ihre eigenen Kinder schicken sie aber nicht in den Krieg. Die leben im Ausland, studieren an den besten Universitäten. Sollen sie etwa nicht sterben, um ins Paradies zu kommen?
Sie haben eine Kommission eingerichtet, die die Institution der Blutrache bekämpfen soll. Zugleich haben Sie Ahmed Sakajew Blutrache geschworen. Wie ist das zu verstehen?
Nicht ich persönlich habe Sakajew Blutrache geschworen, sondern die Angehörigen der Terroropfer. Und ob wir es nun wollen oder nicht, die Blutrache lässt sich aus der Tradition unseres Volkes nicht mir nichts, dir nichts beseitigen. Sie stammt aus jener Zeit, als es noch keine staatlichen Rechtsstrukturen gab. Der Rat der Ältesten versammelte sich einmal im Jahr in der Ebene und sprach Recht. Den Rest des Jahres sollte Blutrache für Einhaltung der Ordnung sorgen. Daher hat sich die Blutrache bei uns erhalten, und sie erstreckt sich auch auf die Teufel, die Zentoroi angegriffen haben.
… und mit denen Ihre Leute kurzen Prozess gemacht haben.
Warum der Spur folgen, wenn man den Bären sieht? Wir können die Blutrache nicht abschaffen, aber für Versöhnung eintreten. In 153 Konflikten zwischen 306 Sippen ist es uns gelungen. Einige übten Blutrache schon seit hundert Jahren. Versöhnung im Fall Sakajew ist ausgeschlossen. Er handelt gegen Islam, Volk und Gesetz.
Dabei wollten Sie ihn doch vor Kurzem noch zur Mitarbeit gewinnen und haben ihn zur Rückkehr aufgefordert.
Vermutlich waren es Geheimdienste, die ihm die Rückkehr untersagt haben, vielleicht ist Sakajew auch drogenabhängig. Europa wird Probleme mit diesen Leuten bekommen, die nicht an ein normales Leben gewöhnt sind. Wir haben ein Sprichwort: "Wie gut du den Wolf auch fütterst, er schaut trotzdem in den Wald."
Menschenrechtsgruppen melden immer mehr Überfälle auf amnestierte Rebellen und unschuldige Personen, die von tschetschenischen Sicherheitskräften unter der Anschuldigung, Terroristen zu sein oder diesen zu helfen, festgenommen werden.
Warum sollten die Sicherheitsorgane so etwas tun, zumal ganze Einheiten aus Amnestierten bestehen? Das würde ich niemals zulassen, weil mein Vater die Amnestie erkämpfte und mich zum Garanten ernannt hat. Wie kann man so einen Unsinn über mich schreiben, der jeder Grundlage entbehrt und vor keinem Gericht standhalten würde!
Die Anschuldigungen richten sich nicht gegen Sie.
Ich würde so etwas nicht dulden. Es gibt bei uns Elemente, die für eine Kopeke solche Dinge erfinden. Wenn ich schuldig sein sollte, beweisen Sie es mir! In dem Fall würde ich mich ruhig fühlen und noch mehr den Koran, die Verfassung und das Gesetz studieren. Ich fürchte nur Allah. Die Hitze der Hölle werde ich nicht aushalten.
Wie eng ist Ihr Verhältnis zu Moskau? An fast jeder Straßenecke hängen Porträts von Ihnen, Ihrem Vaters und von Wladimir Putin.
Es wäre schlimm, wenn das Volk diese Porträts zerstören würde. Die Bevölkerung pflegt sie aber, weil sie uns liebt. Wir sind auf dem richtigen Weg: Putin/Kadyrow.
Empfinden Sie brüderliche Gefühle für Putin, oder ist es Liebe? Oder ist es eine Vater-Sohn-Beziehung?
Vater habe ich nur einen und der heißt Ahmed Kadyrow. Putin hat viel für das tschetschenische Volk getan. Er hat unser Volk gerettet und ihm ein zweites Leben gegeben. Ich war nach dem Tod meines Vaters in Politik und Wirtschaft unerfahren, konnte nur mit der Waffe umgehen. Putin hat mir trotzdem vertraut, und dieses Vertrauen bedeutet mir sehr viel. Daher ist es nicht falsch, auch von Liebe zu sprechen, wenn auch unter Männern. Ich verehre diesen Menschen, sehr sogar, und ich werde ihn nie verraten. Er hat einen männlichen Charakter, die besten menschlichen Eigenheiten und ist ein ausgezeichneter Staatsmann.
Ist er Ihr Idol?
Ja, mein Idol.
Tschetschenien strebt keine Unabhängigkeit mehr an. Liegt das an Ihrem Verhältnis zu Putin, oder spielen da weitere Motive eine Rolle?
Unser Volk hat sich in einem Referendum dafür entschieden, das hängt nicht von Putin oder Kadyrow ab.
Was werden Sie noch unternehmen, um die aufständische Jugend aus den Wäldern zurückzuholen? Oder ist schon alles getan, was getan werden konnte?
Die Jugend kommt zurück. Es gibt kaum noch junge Leute in den Bergen. Dort sind nur noch Ratten, die Morde begangen haben. Sie wissen, dass sie keinen Platz in der Gesellschaft mehr finden.
Wie lange wollen Sie noch an der Spitze Tschetscheniens bleiben? Sind Sie müde?
Wie kann man müde sein, wenn man für sein Volk Nützliches tut. Das Volk ist dankbar. Innerhalb von wenigen Tagen habe ich tausende von Verfügungen erteilt, die auch im Laufe eines Monats erfüllt wurden. 14.000 Tschetschenen habe ich geholfen, ihre Probleme zu lösen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid