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Archiv-Artikel

Tryin‘ bloody Lorca

Jürgen Kruse inszeniert Lorcas „Bluthochzeit“ an den Bochumer Kammerspielen. Dass es kein ganz schöner Abend wurde, lag an der Lustlosigkeit manch selbst ernannter Schauspiel-Heroen

Das ist der Arm meines Bruders und der meines Vaters und meiner ganzen Familie, die tot ist.

VON PETER ORTMANN

Wer auf des Wahnsinns Messers Schneide rutscht, verliert viel Blut. Oh, well, Mr. Kruse, es floss wieder verdammt viel von Ihrem Herzblut von der Bochumer Kammerspielbühne, und nur wenige vinyle Zeitgenossen im Dunkel des Raumes werden bemerkt haben, dass Sie auch die Rückseiten Ihrer 45rpms schätzen. Die meisten Zuschauer werden die leisen Töne des grünen Peters als angenehmes Hintergrundrauschen eines Universums wahrgenommen haben, das nicht das Ihre ist und nie sein wird.

Jürgen Kruse inszeniert Frederico Garcia Lorcas „Bluthochzeit“, eine Tragödie in drei Akten. Auf einer einfachen Bühne, die nicht anders sein will als das Leben selbst – ein undurchsichtiges Chaos. Die stolze Schar von Protagonisten vor und auf der Bühne werden überwacht von einem Mond mit Totenfratze und dem irren Tod, der warten kann – auf beide Seiten. Blut wird fließen an diesem Abend. So hat es der Autor vorgesehen und so kann es auch die Dramaturgie nicht ändern, die als Lorca im weißen Anzug verkleidet, unaufhörlich auf die Tasten einer mechanischen Schreibmaschine schlägt, um den Fortgang des Stückes – Verflucht seien alle Messer! – zu gewährleisten. Allerdings in einem Kabuff über der Bühne, quasi mit historischem Blick hinunter in das Flussbett des Schreckens.

Dort beginnt es mit einem Messer für die Weintrauben und es endet mit den Messern in den nackten Oberkörpern der Macho-Rivalen, die den schwachsinnigen Konventionen der Zeit nicht entkamen, die bluten müssen für die tödliche Ehre. Dazwischen zeigen sieben Bilder die Handlungen über zwei andalusische Eheschließungen, von der eine nie hätte stattfinden dürfen und die andere nie vollzogen wird. Dazwischen auch das Leid der zurückgebliebenen älteren Frauen, deren Ehen wegen blutiger Messer kurz und denen ihre Leben nach den Beerdigungen unnatürlich lang werden. Das Geld regierte eben die Welt – die Liebe blieb auf der Strecke. Moonlight Shadows damals, wie heute – wo eben alle malden feurigen Flamenco tanzen, den staubigen Boden in der Fremde stampfen, ein bisschen umher stechen und sich hinterher über das grauslige Ergebnis wundern.

In Bochum ist Jürgen Kruse der einzige, der ohne Theaterblut auskommen muss. Er leidet und es wird ihm dort immer schwerer gemacht, dieses Leid zu kompensieren. Seine rotierende Guckloch-Galaxie driftet davon, der Unschärferelation des Zeitgeistes erlegen. Er wird zu einem Künstler, dem nicht die Räume, aber das Arbeitsgerät abhanden kommt und der mit schwitzenden Handpuppen leben muss, wo schweißnasse Bestien erforderlich wären. Nur Veronika Beyer als DIE Mutter und Patrick Heyn als DAS Mond sind ihm geblieben. Judith Rosmaiers Schatten geistert noch mit einer Sense durch die grinsende Nacht. Doch es bleibt es ein grauer Schatten, auch wenn die Strahler leuchten. Wo sich früher Macbeth und Macduff minutenlang bis zur Erschöpfung an meterschweren Stahlschwerter versuchten, müssen heute für die Jungschar ein paar schnelle Äxte reichen.

Diese Inszenierung bleibt hässlich blutleer und das liegt nicht an der Co-Regie, auch nicht am echten weißen Hengst auf der Bühne. Es liegt am aktuellen Mensch-Material, das wohl den Wahn der Kruseschen Gehirnwindungen nicht mehr mitgehen kann. Das hilflos im strategisch, dreckigen Inszenierungs-Sandkasten steht und sich weigert, mit der angefaulten Orange zu spielen. Das vielleicht lieber über blank gescheuerte Spielflächen flaniert und sich dabei in Hightech-Videofilmchen wiederspiegelt, während es seine standardisierte Vorabendserien-Mimik aus der Tasche zieht. Das lieber jammernd schreibend aus dem Zauberkasten plaudert und die scheinbare Blasphemie als Selbstbefriedigungsmaschine nutzt – was hätte es für ein Abend werden können, wenn sich die Braut nebst Fluchthelfer nicht verweigert hätten. Oder geht‘s nicht besser?