Truppenabzug aus Georgien: Warten auf den Frieden
Nach offiziellen Angaben hat Russland am Montagnachmittag mit dem Rückzug seiner Truppen begonnen. Die widersprüchlichen Meldungen legen aber nahe, dass sich die Russen Zeit lassen.
MOSKAU/TIFLIS taz Zehn Autominuten von Tiflis entfernt steht die erste georgische Polizeikontrolle. Als die Beamten hören, dass wir Journalisten sind, winken sie uns durch. Kurz vor Gori, in der Ortschaft Igoeti, treffen wir auf Dutzende georgische Polizeiwagen, die darauf warten, in die von russischem Militär geräumte Stadt fahren zu können.
Auf dem nächsten Streckenabschnitt sind auf den Hügeln ringsherum russische Panzer und Scharfschützen zu erkennen. Neben der Fahrbahn sind Gräben ausgehoben, und das Ganze sieht so aus, als sollten hier Festungsanlagen installiert werden. Die seien gestern noch nicht da gewesen, sagt Pio Demilia, ein Kollege vom italienischen Fernsehen. Er und sein Kameramann seien problemlos nach Gori gelangt. Doch heute ist kurz vor dem Ziel Schluss. Ein russischer Panzer versperrt den Weg. "Wer keine russische Akkreditierung hat, kommt hier heute nicht durch, Befehl von oben", sagt ein Soldat barsch. Mittlerweile belagern Dutzende Journalisten den Posten. Am Nachmittag wird klar, dass die Journalisten, die es näher an Gori heran geschafft haben, ebenfalls abgewiesen wurden.
Zwei Stunden später folgt der nächste Versuch. Jetzt ist die Straße sogar mit einem Panzer gesperrt. Diesmal wird eine russische Akkreditierung verlangt. "Sie haben das Gesetz gebrochen, denn Sie sind ohne Visum hier!", sagt ein anderer russischer Soldat. "Welches Visum?", so unsere erstaunte Rückfrage. Bürger der EU und der USA brauchten schon seit zwei Jahren kein Visum mehr für die Einreise nach Georgien. Wo befänden wir uns überhaupt, auf georgischem oder russischem Territorium? Na ja, eigentlich auf georgischem, sagt der Soldat, ist aber mit der Visumfrage schlichtweg überfordert. "Rede nicht mit ihnen", schreit ein anderer und wird heftig. "Weg jetzt! Hier kommen gleich Panzer und Transporte, da können Sie nicht stehen bleiben!" Dann fügt er hinzu: "Versuchen Sie es morgen wieder. Die Russen haben ein großes Herz!"
In Moskau teilte unterdessen Vizegeneralstabschef Anatoli Nogowizyn mit, Russland habe mit dem Abzug seiner Truppen aus Georgien begonnen. "In Übereinstimmung mit dem Friedensplan hat der Rückzug der russischen Friedenstruppe und der ihnen beigestellten Einheiten in die 1999 angewiesenen Gebiete begonnen", sagte Nogowizyn. Mit den "Gebieten" ist die abtrünnige Republik Südossetien gemeint. Auch die staatliche Nachrichtenagentur RIA berichtete von der Aufnahme des Truppenrückzugs. Eine Bestätigung der Verlegung aus unabhängiger Quelle lag unterdessen noch nicht vor. Offen blieb, ob sich die russischen Einheiten nur nach Südossetien oder ins russische Kernland zurückzogen.
Kremlchef Dmitri Medwedjew hatte am Sonntag den Rückzug angeordnet. Widersprüchliche Meldungen aus der Region und dem Verteidigungsministerium legten jedoch den Schluss nahe, dass Moskau sich mit dem Rückzug Zeit nehmen werde. Für den Fall, dass sich Russland nicht an seine Zusagen halten sollte, kündigte der französische Präsident Nicolas Sarkozy gestern an, noch diese Woche einen EU-Sondergipfel einzuberufen. Am Vorabend stellte überdies Bundeskanzlerin Merkel in Tiflis Georgien die Aufnahme in die Nato in Aussicht.
Moskau trifft erstmals auf etwas Gegenwind aus der sonst eher dem Kreml gegenüber verständnisvollen EU. Zur überraschenden Kurskorrektur Berlins in der Frage des georgischen Nato-Beitritts äußerte sich das offizielle Moskau bislang noch nicht.
Zweifel an der endgültigen Beilegung des bewaffneten Konflikts schürte unterdessen ein Bericht der New York Times, wonach russische Militärs Ende letzter Woche Kurzstreckenraketen nach Südossetien verlegt hätten. Die New York Times beruft sich auf geheimdienstliche Quellen und einen hochgestellten Mitarbeiter des Pentagons. Die taktischen Raketen vom Typ SS-21 können die Hauptstadt Tiflis und weite Teile Georgiens erreichen.
Die New York Times will ebenso erfahren haben, dass das russische Verteidigungsministerium ein Fallschirmjägerbattaillon aus Pskow in die Nähe der Krisenregion verlegt hat. Auch Fallschirmjägereinheiten aus Kostroma bereiteten sich auf den Weg in die Konfliktzone vor.
Nach US-Schätzungen befinden sich an die 15.000 Soldaten in der Region, 8.000 bis 10.000 davon hielten sich noch in Südossetien auf. Überdies sollen strategische Bomber des Typs TU-95 MS in den letzten Tagen Trainingsflüge über dem Schwarzen Meer absolviert haben. Georgien und Nato-Anwärter Ukraine sind Anrainer des Schwarzen Meeres. Auch Kiew befürchtet, aus dem russischen Muskelspiel könnte bald Ernst werden und Moskau könnte nach der Halbinsel Krim greifen, auf der mehrheitlich ethnische Russen wohnen.
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