: Trümmer und Parkuhren
Unheilschwangere Sample-Schichten, grübelnde Innerlichkeit und ein wenig sonniges Weltbild: Mit „Dälek“ und der Anticon-Labeltour ist der zurzeit vielleicht beste HipHop der anderen Art in der Tanzhalle zu Gast
von ALEXANDER DIEHL
Es brennt noch Licht im abseitigen Flügel des Gebäudes HipHop. Da, wo das Wasser von den Decken tropft und die Budgets nie für einen angesagten Produzenten, ein renommiertes Studio oder gar ein ordentlich ausgeleuchtetes Video reichen. Zwei Abende lang wird Hamburgs Tanzhalle in der kommenden Woche zum Forum für die Kellerkinder und Schrottplatz-Ästheten des Genres.
Immer schon eher eine Art Arbeitszusammenhang als ein Label im klassischen Sinne, vermarkten bei Anticon die Produzenten ihre Arbeiten auch selbst, gibt es keine strenge Trennung zwischen „kreativem“ und „geschäftlichen“ Aufgabenbereich. Geradezu inzestuös machen alle Beteiligten irgendwie alles, treten auf den Platten der Kollegen auf oder helfen anderweitig. Herausgekommen sind dabei inzwischen mehr als 20 Alben. Glaubt man ihren Mainstreammedien, hat die HipHop-Landschaft Anticon bis heute dennoch kaum zur Kenntnis genommen.
„Unseren Mangel an künstlerischem Talent oder Ausbildung“, so Anticon-Rapper Doseone unlängst im britischen Magazin The Wire über die Finden-und-Aufsammeln-Philosphie seiner Posse, „machen wir wett durch Glück und die Bereitschaft, eine Registrierkasse oder Parkuhr nach Hause in unser Apartment zu schleppen.“ Musikalisch gesprochen: Samples werden da ohne Berührungsängste aus wirklich jedem Bereich herangezogen, andererseits nimmt man kaum am Rat Race nach dem originellsten Beat und dem seltensten Funk-Break teil. Themselves und Alias schicken sich nun an, das inzwischen ziemlich unverwechselbare Anticon-Klangbild und -HipHop-Verständnis einem größeren Publikum auch in Europa vorzustellen.
Alias eilt das merkwürdige Etikett „Goth-Hop“ voraus, und tatsächlich zeugen die zerknirschten Texte und aus Krach gewonnenen Instrumentals kaum von der partyfreudigen Verfasstheit, die HipHop traditionell ausmacht. Durchaus vergleichbar mit der egozentrischen, am Leiden sich erfreuenden Erzählperspektive von Indierock- und Lo-Fi-Songwritern werden da Seelenzustände offengelegt und Krisen nachvollziehbar gemacht.
Keine Juwelen, keine Limousinen, keine Ärsche und keine Titten finden sich auch bei Themselves die mit auf Tour gegangen sind.
Aus dem wenig glamourösen Hinterhof des Big Apple, aus Newark, New Jersey, haben sich Dälek aufgemacht, mit apokalyptischer Grundstimmung und zertrümmerten Beats die aufgeschlossenen unter den Kopfnickern in Bewegung zu versetzen. Bereits drei Mal waren MC Dälek, Produzent Oktopus und der waghalsige DJ Still in Hamburg zu sehen, meist ohne größeren Zuspruch des Publikums. Das zweite Album des Trios, From Filthy Tongue of Gods and Griots, wurde von Alternative-Impresario Mike Patton auf seinem Ipecac-Label veröffentlicht, was zumindest die mediale Aufmerksamkeit vervielfacht hat – durchaus zu Recht.
Begleitet werden Dälek von den finnischen Experimental-Krautrockern Circle. Was auf den Blick wenig naheliegend erscheinen mag, ergibt durchaus Sinn: Effektverhangene Soundschichten, sperrigen Umgang mit Song-Zutaten und nicht zuletzt die mäßig behagliche Atmosphäre haben beide Bands gemeinsam.
„Themselves“ und „Alias“: Montag; „Dälek“ und „Circle“: Dienstag, jeweils 21 Uhr, Tanzhalle
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