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Trouvaille Schluss mit Lakonismus: Wolfgang Welts Romanfragment „Die Pannschüppe“ ist im aktuellen „Schreibheft“ zu lesenWas wäre er ohne Lithium?

von Frank Schäfer

Wolfgang Welt schrieb immer schon schnell, manisch, gehetzt. In den letzten Jahren verknappte er seinen Stil zu bisweilen stenogrammartigen Satzstummeln. In seinem letzten Buch „Fischsuppe“ erzählt er kaum mehr szenisch, er protokolliert nur noch die Erinnerungsfetzen, die ihm durchs psychopharmakonsedierte Hirn rasen. Er selbst scheint nicht recht glücklich damit gewesen zu sein. Im Oktober 2014 schrieb er mir – gelegentlich erhielt ich eins seiner hingehauenen Brief- oder Mail-Billets, meistens um mich auf eine aktuelle Publikation hinzuweisen –, er treffe sich regelmäßig mit seinem Bruder Jürgen, um Material zu sammeln für „Die Pannschüppe“. Ein Buch über seine Kindheit sollte das werden, gewissermaßen die Vorgeschichte zu „Peggy Sue“, seinem ersten, zu Recht legendären Erinnerungsroman.

Für seine Verhältnisse war das eine ungewöhnlich aufwändige Vorarbeit. Gewöhnlich nahm er sich zwei, drei Wochen Urlaub von seinem Brotjob als Nachtwächter, setzte sich hinter die Schreibmaschine, ab dem dritten Roman „Der Tunnel am Ende des Lichts“ hinter den Computer und delirierte ein neues Buch in die Tasten. Bedauerlicherweise hat seine von der jahrzehntelangen Medikamenteneinnahme zerstörte Gesundheit die Fertigstellung der „Pannschüppe“ verhindert. Welt starb im vergangenen Sommer.

Die aktuelle Ausgabe von Nobert Wehrs verdienstvoller Literaturzeitschrift Schreibheft dokumentiert das Romanfragment neben einigen Briefen an Hermann Lenz und Siegfried Unseld und einem aufschlussreichen Mailwechsel mit Frank Witzel, der zu einem späten Freund und Bewunderer avancierte.

Er muss sich zwingen

Man kann hier nachlesen, wie sich Welt befreien wollte aus der Lakonismus-Falle. „Ich möchte jetzt anders schreiben als bisher, nicht so schnell“, ruft er sich selbst zur Räson. Aber ihm fehlt schlicht die Kraft und der Atem dafür. Er muss sich zwingen, einen Ferienjob in einer Brauerei ausführlicher auszupinseln, bleibt aber doch an der Oberfläche und gibt schließlich selbst zu, über eine „langweilige“ Aufzählung der Arbeitsvorgänge nicht hinauszukommen.

Er ist kaum mehr in der Lage, seine Erinnerungen plastisch zu vergegenwärtigen, ein bloßes Abhaken muss genügen. Nicht einmal die kleinen Triumphe auf dem Fußballplatz oder die noch selteneren mit einem Mädchen sind ihm ausführlicher Rede wert. Gerade die vielen auftretenden Personen bleiben hier völlig austauschbar, es sind bloße Namen ohne jegliches Profil. Nur Welts ewiger Sehnsuchtsort London fesselt seine Beschreibungsaufmerksamkeit für etwas längere Zeit.

Dieser narrativen Armut zum Trotz ist er immer noch da, Welts zutiefst melancholischer, berührender, zur Identifikation einladender Personalsound. „Asts Polterabend. Die ganze erste Mannschaft, zu der auch ich mittlerweile gehörte, ging in das Haus seiner Eltern jenseits der B1. Ast, das wusste ich, hatte eine Schwester, die eine hervorragende Leichtathletin war. Irgendwie kamen wir uns näher und zogen uns auf den Trockenboden zurück. Ohne ein Wort zu sprechen, nur küssend. Vielleicht wäre es zum Äußersten gekommen, wenn nicht plötzlich ihr Vater reingestürzt wäre. Wir gingen dann auseinander, ohne uns wiederzusehen. Vorgestern wurde Ast beerdigt, ich habe seine Schwester nach 45 Jahren nicht wiedererkannt.“ Welt verlegt „die Empfindsamkeit hinein in den Leser“, schreibt Frank Witzel sehr schön, „der schon bald nicht mehr weiß, ob dieses ihm exem­pla­risch vorgeführte Leben am Ende nicht doch sein eigenes ist“.

Die Lektüre macht einen allerdings auch ziemlich traurig, weil man erahnen kann, was der Mann ohne das ständige Lithium alles hätte schreiben können. Nicht zuletzt wenn man diesen späten Text mit den kackfrechen, kraftstrotzenden, ein bisschen größenwahnsinnigen, den baldigen „Irrlauf“ vielleicht schon ankündigenden Briefen von 1981 vergleicht.

„Lieber Unseld“, heißt es da in famoser Verkennung seiner eigenen Wichtigkeit als Rockschreiber aus der „Top 10 der deutschen Musik-Journaille“, „seit geraumer Zeit möchte & soll ich für ‚Sounds‘ Thomas Bernhard porträtieren. Ums besonders gründlich hinzukriegen, würd ich mich gerne ma mit ihm (und auch mit Ihnen) unterhalten. Könnten Sie vielleicht n gutes Wort bei Herrn B. für mich einlegen?“ Am Ende soll Unseld noch etwas ausrichten. „Und sagense dem netten Herrn M-SCH [gemeint ist Welts Förderer und späterer Lektor Hans-Ulrich Müller-Schwefe], meine erste Lesung wird am 8. 12. sein (erwarte ca. 500 Leute mindestens).“ So viele wurden es auch später nicht. Verdient gehabt hätte er sie.

„Schreibheft“. Zeitschrift für Literatur. Nr. 88, Februar 2017. Hg. von Norbert Wehr. Rigodon Verlag, Essen 2017. 200 S., 13 Euro

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