: Trotzdem lachen und stark bleiben
Liebe Leser*innen,
eine Frau hat sich eine neue Matratze gekauft. Sie platziert das noch fest zusammengerollte und -vakuumverschweißte Stück auf dem Lattenrost ihres Bettes. Sie beginnt, die Folie langsam mit einem Teppichmesser aufzuschneiden – bis die gestauchte Matratze auf einmal aus der Verpackung platzt und, sich ausrollend, die Frau unter sich begräbt. Überschrift: So fühlt sich der Dezember an.
Gesehen haben wir diese Szene auf Social Media und darüber herzlich in der Chefinnenredaktion gelacht, natürlich davon ausgehend, dass die Frau unverletzt blieb. Ein Comic Relief war das, eine Erleichterung durch Komik. Unsere Titelseiten funktionieren auch so: wenn die große Politik und der kleine Alltag kaum auszuhalten sind, es aber jemandem gelingt, einen Witz zu machen, und wir trotz allem lachen können.
Die Mischung aus Weltkrisen und Weihnachtsrummel erschlägt uns am Jahresende wie die raumgreifende Matratze.
Eingebogen waren wir in dieses Jahr mit der Aussicht auf eine schwarz-rote Koalition, die sich erst einmal eine Billion Euro sicherte. Noch mit den Stimmen des alten, abgewählten Bundestags wurde die Schuldenbremse aufgeweicht, die Friedrich Merz bis zur Wahl noch als Heiligtum emporhob. Betrogen sah sich aber, wer nun dachte, Schwarz-Rot würde damit wenigstens das Versprechen einlösen, geräuschlos zu arbeiten. Handwerkliche Fehler vor allem in der Unionsspitze ebenso wie des Kanzlers Hang zu schwer begründbaren Spontanreaktionen führten selbst beim geneigten Publikum zum Eindruck, hier werde wieder nicht die ersehnte professionelle Souveränität einkehren.
Und das eher nicht geneigte Publikum, wir in der taz zum Beispiel, konnte sich noch nicht einmal nur auf Kritik dieses Treibens konzentrieren. Die Zeiten sind nicht danach. Denn dieser Kanzler Friedrich Merz ist ja immerhin ein führender Unionspolitiker, der noch glaubhaft macht, keine Koalition mit der AfD anzustreben, was man schon von seinem Fraktionschef und offensichtlichen Möchtegern-Nachfolger Jens Spahn nicht behaupten kann. Respekt verlangte Merz seinen linken KritikerInnen auch ab, als er es offenbar in der Diskussion über die Zukunft der Ukraine schaffte, Donald Trump und der US-Regierung wenigstens eine gewisse Anerkennung der Bedeutung Europas abzuringen.
Wie haltbar das ist, muss leider dahingestellt bleiben – Willkür gehört auch beim neuen Faschismus zum Konzept. Wir könnten an dieser Stelle nun einen Ausblick auf die Landtagswahlen 2026 werfen und vermelden, dass sowohl in Sachsen-Anhalt als auch in Mecklenburg-Vorpommern die AfD mit großem Abstand die Umfragen anführt. Oder auf die Wahl in Ungarn im April verweisen, in der Europas erfolgreichster Autokrat Viktor Orbán, den selbst Donald Trump bewundert, chancenreich zur Wiederwahl antritt. Denn ja, es ist beunruhigend, dass der weltweite Reigen der AntidemokratInnen immer dichter und schwungvoller zu werden scheint.
Wir aber wollen unsere Aufmerksamkeit noch viel mehr den vielen Menschen schenken, die auch im nächsten Jahr wieder Rückgrat zeigen werden. Denn überall dort, wo Krieg und Krise ist, sind immer auch Menschen, die sich wehren. Die nicht auf die dystopische Erzählung einstimmen, dass früher oder später die AfD regieren wird. Sondern die sich zusammenschließen, um im nächsten Jahr so laut dagegen zu protestieren wie noch nie zuvor. Die Initiativen gründen, sich Organisationen anschließen, Kampagnen mitmachen, damit deutlich wird, was Demokratie kann und warum es sich lohnt, sie immer und immer wieder zu verteidigen.
Wir werden im nächsten Jahr mehr Menschen wie Gergely Karácsony in Ungarn kennenlernen, den Bürgermeister von Budapest, der dieses Jahr trotz nationalem Verbot die größte Gay Pride Parade des Landes zugelassen hat. Wir werden beobachten, ob Kevin Kühnerts kommunikative Talente bei der Bürgerbewegung
Finanzwende voll zur Geltung kommen. Wir werden von Frauen weltweit erfahren, die internationale Solidarität leben und überall für die Gleichberechtigung derGeschlechter kämpfen. Freuen Sie sich auf unsere Frauentags-Ausgabe!
Wir werden in der taz von diesen Menschen und Bewegungen berichten, denn sie sind überall und sie bewirken so viel! Und wir werden auch im nächsten Jahr versuchen, auf unserer täglichen Titelseite immer wieder den Comic Relief zu schaffen, den Lacher, der die Schrecklichkeiten erträglicher macht. Denn auch wenn uns die Weltlage manchmal entmutigt und fast umhaut – es findet sich immer viel mehr, für das es sich zu kämpfen lohnt.
Danke, dass Sie an unserer Seite sind —
Mit besten Wünschen zu den Feiertagen!
Ihre Ulrike Winkelmann,
Barbara Junge und Katrin Gottschalk
taz Chefinnenredaktion
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