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■ Trotz des internationalen Drucks läßt Libyens Staatschef Gaddafi weiterhin eine Giftgasanlage bauen. Und trotz aller Ermittlungsverfahren und aller nationalen Proteste sind deutsche Unternehmen und deutsches Know-how noch immer dabei.Lib

Trotz des internationalen Drucks läßt Libyens Staatschef Gaddafi weiterhin eine Giftgasanlage bauen. Und trotz aller Ermittlungsverfahren und aller nationalen Proteste sind deutsche Unternehmen und deutsches Know-how noch immer dabei.

Libysches Giftgas nach DIN-Norm

Jetzt ist es amtlich: Libyen baut mit deutscher Hilfe eine zweite Giftgasfabrik. Gestern bestätigten die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach, das Kölner Zollkriminalamt und das Bundeskriminalamt einen Bericht des Südwestfunks, wonach zwei deutsche Firmen zwischen 1990 und 1993 Hochtechnologie für die Giftgasproduktion nach Tripolis geliefert haben. Wert des Geschäfts: 3,2 Millionen Mark.

Bei der Ware handelt es sich um zwei computergesteuerte Automatisierungssysteme der Firma Siemens. Bestimmt waren sie für einen unterirdischen Firmenkomplex in Libyen. Nach Erkenntnissen des US-Geheimdienstes CIA entsteht dort ein gewaltiger Chemiewaffenkomplex. Es soll sich um die Nachfolge der berüchtigten libyschen Giftgasanlage Rabta handeln. Der Komplex war Ende der achtziger Jahre in die Schlagzeilen gekommen, weil dort mit Hilfe der deutschen Firma Imhausen-Chemie Giftgas hergestellt werden sollte. Als die US-Amerikaner drohten, die Anlage zu bombardieren, stellte Libyens Staatschef Gaddafi das Projekt ein. – Die Giftgasanlage mutierte zum Pharmakonzern.

Rabta im September 1995: In einem kraterähnlich ausgehöhlten Berg in der Wüste stehen weißbekittelte LibyerInnen und dozieren vor Hunderten Besuchern über die hervorragende Wirkung von Kopfschmerztabletten und Verdauungssäftchen. „Rabtamol“, „Rabtaklel“ – wie Christbaumschmuck baumeln Medikamentenpackungen von Ständen, die zwischen bizarren Metallröhren und riesigen Reaktionsbehältern aufgestellt worden sind. Die Show in der Anlage, die nur durch einen etwa hundert Meter langen Tunnel zu erreichen ist, soll beweisen: Rabta ist keine Giftgasfabrik, sondern ein pharmazeutischer Großbetrieb und war auch immer als solcher gedacht.

Glaubt man dem US-Geheimdienst CIA, dann schraubten sich zum gleichen Zeitpunkt 150 Kilometer östlich von Rabta gewaltige Fräsen in den Dschabal Tarhuna. Im Inneren des Berges schweißten Ingenieure Röhren zusammen, Chemiker besichtigten ihre zukünftigen Arbeitsplätze.

Auf einem 15 Quadratkilometer großen Areal, 60 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Tripolis, soll nach Darstellung der Geheimdienstler die größte unterirdische Chemiewaffenfabrik der Welt entstehen: Rabta 2. Output der Anlage: Nervengase wie Lost, Sarin und VX – mehrere Zonnen täglich. Die libysche Führung dementiert. Laut Staatschef Muammar al-Gaddafi handelt es sich in Tarhuna um einen Teil des nationalen Bewässerungsprojekts „Great Man Made River“. Aus dem Wüstenboden solle Wasser für die libysche Landwirtschaft gepumpt werden.

Spionagesatelliten haben jedoch längst entdeckt, daß die ursprüngliche Ausstattung von Rabta mit Lkw Stück für Stück nach Tarhuna transportiert wurde. Bereits Ende 1992 sollen so detailreiche Bilder der Himmelsspione vorgelegen haben, daß in der CIA- Zentrale in Langley im US-Bundestaat Virginia ein Computermodell des Arreals hergestellt werden konnte. Unterstützt wurden die CIAler dabei auch von Informanten, die die Baustelle vom Boden kannten. Da es in dem bevölkerungsarmen Libyen nicht genügend hochspezialisierte Techniker und Ingenieure gibt, ließ Gaddafi für seine zahlreichen Großprojekte Tausende Arbeiter importieren. In Tarhuna sollen vor allem Spezialisten aus Asien arbeiten. Unter ihnen will die CIA Informanten angeworben haben.

Nach Einschätzung der amerikanischen Geheimdienstler orientieren sich die Pläne für Tarhuna weitgehend an denen für Rabta. An deren Entstehung war die deutsche Firma Imhausen-Chemie maßgeblich beteiligt. Als 1988 diese deutsche Beteiligung an dem libyschen Giftgasprojekt bekannt wurde, prägten US-amerikanische Medien den Begriff „Auschwitz im Wüstensand“.

1993 konnte Helmut Kohl einen ähnlichen Skandal verhindern. Im Frühjahr des Jahres bekam der Kanzler Besuch von drei CIA-Beamten. Auf seinem Schreibtisch breiteten die Agenten Satellitenfotos und Bauzeichnungen von Tarhun aus. Dazu der Hinweis: zwei 60 Tonnen schwere Steinfräsen stammten von der Bochumer Firma Westfalia Becorit. Auf Anraten der CIA sorgte der Kanzler dafür, daß die Firma keine weiteren Bohrspitzen für ihre Maschine lieferte. Weil das Gerät 5,5 Meter hohe und 7,3 Meter breite Löcher in massiven Stein fräst, müssen die Spitzen regelmäßig ausgetauscht werden. Durch den Abbruch der Lieferungen kam das Projekt erheblich ins Stocken. Ein Ermittlungsverfahren gegen Westfalia Becorit wurde eingestellt. Denn die Firma hatte die Fräsen an ein thailändisches Unternehmen geliefert und die Firmenleitung konnte Beamten des Kölner Zollkriminalamtes glaubhaft versichern, nichts von ihrer weiteren Verwendung gewußt zu haben.

Anders im Fall Hans-Joachim Rose. Der Stuttgarter Unternehmer war bereits im März 1995 zu 21 Monaten Haft verurteilt worden, weil er eine chemieanlagentaugliche Steuerungsanlage nach Libyen verkauft hatte. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Unternehmer machte weiter. Mitte vergangenen Jahres versuchte er über den Umweg Indien eine komplette Gaswaschanlage nach Libyen zu liefern. Mit Hilfe von Wanzen und abgehörten Telefongesprächen kamen ihm die Fahnder auf die Spur. Rose steht derzeit in Stuttgart vor dem Landgericht.

Weil sich Tarhuna an den von Deutschen entworfenen Rabta- Plänen orientiert, sind die Libyer bei wichtigen Bauteilen darauf angewiesen, daß sie die DIN-Norm erfüllen. Nach Erkenntnissen des Bundesnachrichtendienstes (BND) beziehen sie „kritische Teile“ wie Abfüllanlagen, elektronische Steuerungseinrichtungen, Mischer, Gaswäscheanlagen, Pumpen und Zentrifugen aus Italien und der Schweiz. Nach CIA-Angaben kamen aus der Schweiz auch spezielle „Lufteinlaßsysteme“ und „Dekontaminierungsprodukte“. Die Abhängigkeit von DIN-Produkten erklärt auch, warum die Libyer sich aus Mönchengladbach Siemens-Geräte liefern ließen.

In einem unterscheidet sich die Anlage von Tarhuna von der in Rabta allerdings wesentlich: Sie ist erheblich schwerer zu zestören. Führten 1990 US-Drohungen, die Anlage zu bombardieren, noch dazu, daß Gaddafi das Projekt durch einen vermutlich inszenierten Brand stoppte, wird in Tarhuna trotz ähnlicher Drohungen fleißig weitergebaut. Der Grund: Die CIA vermutet, daß die Ummantelung der Anlage nach alten sowjetischen Bunkerplänen aus der Zeit des kalten Krieges konstruiert worden ist. Mit einem Cruise Missile sei die Anlage wegen der Konstruktion ihres Eingangs in einem engen Tal nicht zu zerstören und auch eine konventionelle Bombe könne schwerlich so plaziert werden, daß sie vernichtenden Schaden anrichte.

Angeblich hat auch schon die Pentagon-Abteilung für Spezialoperationen den Grundriß der Anlage studiert. Ergebnis: Ein Angriff mit Soldaten auf der Erde wäre Selbstmord. Als Anfang des Jahres im Zusammenhang mit einer von US-Präsident Bill Clinton geforderten Verschärfung des UN-Embargos gegen Libyen in den USA CIA-Berichte über Tarhuna lanciert wurden, hieß es, nur ein direkter Treffer einer Atombombe könne das Projekt stoppen. Mittlerweile dementiert die US-Regierung vehement, solche Pläne je gehabt zu haben.

So bleibt ihr nur die Möglichkeit, den Zufluß von Bau- und Ersatzteilen für Tarhuna weitgehend zu drosseln. Trotz solch spektakulärer Fälle illegaler Zulieferung wie der in Mönchengladbach, scheint diese Strategie nicht ohne Erfolg zu sein: Laut CIA wollte Gaddafi die Anlage ursprünglich bereits 1995 in produktionsbereitem Zustand haben, jetzt denke er an die Jahrtausendwende. Thomas Dreger

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