Trotz Obamas Vorsprung: Angst vor den Wählerängsten
In den Umfragen kann Barack Obama seinen Vorsprung auf John McCain weiter vergrößern. Dennoch fürchten die Demokraten, viele könnten am Ende doch keinen Schwarzen wählen wollen
Drei Wochen vor der US-Präsidentschaftswahl baut der demokratische Kandidat Barack Obama seinen Vorsprung ständig weiter aus. Im Durchschnitt der aktuellen Umfragen liegt der Senator aus Illinois mit 50 zu 43 bereits sieben Prozentpunkte vor seinem republikanischen Konkurrenten John McCain. Am Mittwochabend hat John McCain seine vorläufig letzte Chance, bei der dritten und abschließenden Fernsehdebatte mit Barack Obama zu punkten. Beim letzten Aufeinandertreffen der beiden war ihm das nicht gelungen.
Und doch steigt bei den Liberalen die Nervosität. Denn das haben sie alles schon einmal erlebt. Auch 2004 prophezeiten die Umfragen ein paar Wochen vor der Wahl einen demokratischen Wahlsieg - dann kam die Niederlage. Die Knöchel sind in diesem Jahr noch weißgekneteter, denn diesmal ist der Kandidat auch noch schwarz.
Das macht die Meinungsforscher unsicher, wie ehrlich die Befragten antworten. Geben sie an, für Obama stimmen zu wollen, obwohl sie innerlich Angst oder negative Gefühle gegenüber dem ersten schwarzen Kandidaten der US-Geschichte haben? Oder umgekehrt, sagen sie aus Angst vor rassistischen Nachbarn nicht laut, dass sie für Obama stimmen wollen - um es dann doch zu tun?
Immer wieder ist bei den Debatten die Rede vom sogenannten Bradley-Effekt. Der bezeichnet die Differenz zwischen Umfragergebnissen und tatsächlichem Wahlergebnis einer Wahl, bei der ein weißer und ein schwarzer Kandidat gegeneinander antreten. Konkret erinnert der Bradley-Effekt an die Niederlage des Afroamerikaners Tom Bradley im Rennen um den kalifornischen Gouverneursposten 1982. Bradley hatte bis zum Wahltag in den Umfragen haushoch geführt - und verlor. In der Anonymität der Wahlkabine stimmten viele anders, als sie es den Demoskopen gesagt hatten.
Ob es so etwas heute noch gibt, darüber gehen die Meinungen der Meinungsforschenden weit auseinander. Stan Greenberg, Chef des Meinungsforschungsinstituts Greenberg Quinlan Rosner, das eng mit der Demokratischen Partei zusammenarbeitet, sagte zur taz: "Der Bradley-Effeklt ist passé, ich gehe davon aus, dass es ihn nicht mehr gibt." Neil Newhouse, Partner und Gründer bei Public Opinion Strategies, einem Institut, das für die Republikanische Partei arbeitet, stimmt dem zu. "Bei den Vorwahlen schnitt Obama durchschnittlich 0,5 Prozentpunkte besser ab, als die Meinungsumfragen ergeben hatten. Ich sehe da eher einen positiven Bradley-Effekt. Es stimmen noch mehr Wähler für Obama, als sie bei Umfragen angeben", sagte Newhouse zur taz.
Doch alle professionelle Gewissheit lässt besorgte Obama-Fans nicht ruhiger schlafen. So machte in den letzten Tagen im Internet eine heftig umstrittene, dafür aber umso mehr gelesene Umfrage die Runde, die angibt, dass Obama aufgrund rassistischer Vorbehalte 6 Prozentpunkte seines heutigen Vorsprungs wird abschreiben müssen. Nahrung erhalten diese Ängste vor der Angst der Wählenden mit dem Blick auf den Wahlkampf des McCain-Teams.
Dort zieht die umstrittene republikanische Vizekandidatin Sarah Palin mit Sätzen durchs Land, die unmissverständlich Obamas "Fremdsein" heraufbeschwören sollen: "Ich bin so besorgt, dass dies ein Mann ist, der Amerika nicht so sieht wie du und ich", sagt sie immer wieder, seit die McCain-Kampagne in den Umfragewerten zurückfällt. "Sie benutzen das Rassenthema, um Obama als fremd und damit unamerikanisch, ja sogar antiamerikanisch aussehen zu lassen", sagt der Washingtoner Analyst Peter Beinart vom Council on Foreign Relations zur neuartigen Kampfstrategie der Republikaner.
Im Gegensatz zu früheren Wahlkampagnen, in denen Republikaner routinemäßig die Angst vor der schwarzen Unterschicht heraufbeschworen - vor kriminellen Männern, Sozialhilfe empfangenden Müttern und per Gleichstellungsgesetz in weiße Domänen vordringende Afroamerikaner - laute der Trick heute: nicht die Angst der Weißen vor Obama schüren, sondern ihn, den Kosmopoliten und Sohn eines afrikanischen Migranten, als dem Land fremd darstellen.
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