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Trost Im Herbst treibt es die Einsamen an den Tresen, heißt es. Stimmt das? Beobachtungen an der BarBlueberry Night

von Annabelle Seubert (Text) und Christian Mang (Foto)

Cheers, mein Schatz. Ohne dich hätte ich das nicht geschafft.Wod­­ka wärmt und polstert, Tabak kennt kein Risiko. In der Nacht und im Herbst – ich mag deine Kneipen hier, in Schöneberg ist alles so spießig – gelten andere Regeln, sagen die Menschen andere Dinge. Sie sitzen dann da und stellen sich dar, tauschen Versprechen und Nichtigkeiten, sie sagen weißt du, der ist ’n Schwätzer und ich hab es gleich gewusst, „can you give me some chrushed ice?“. Sie streifen den Tag ab wie Schlangen ihre Haut.

Wenn es Nacht wird und Herbst, heißt es, sammeln sich die Einsamen an der Bar. Trostsuche am Tresen, so etwa geht die Mutmaßung, und wer sie ausspricht, zitiert oft noch Rilke: „Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben.“ „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.“ Und so weiter. Rechts sitzt die Blonde mit dem Nasenpiercing-Mann, deren Lachen über die Stunden lauter wird: Ich halte mich für einen extremen Kraftmenschen. / Also, international bin ich noch voll drin. / Diese Stehlampe war un-ter-stes Niveau.

Links sitzt das Paar, das sich vermutlich zum ersten oder letzten Mal trifft. Prosecco für zwei, er trägt Glatze, erzählt und findet das Ende nicht. „Und dann …“ Er gestikuliert, als hoffe er, dass ihr zumindest seine Hände gefallen. Sie hat schwere Lider und sieht nicht hin. Ab und zu dreht sie ihr Glas, zwirbelt die Serviette und sieht rüber zu Eric, Eric ist für viele Gäste hier der Halt. Wenn ihnen nichts mehr einfällt – wir sind jetzt in der ganz knappen Phase dieser Exklusivität / ich muss mich jetzt auf meine Galerie konzentrieren – fragen sie „Eric?“, „Eric, what are you making?“ Sie sprechen Englisch für ihn, Eric ist ihr Barkeeper aus San Francisco, der meistens auf Deutsch antwortet und eine noch langsamere Version von „Wicked Game“ aufgelegt hat. Eric reibt Zitronenschalen und löst Zuckerwürfel in Alkohol auf. Er schlägt Minzbüschel in seine Handfläche, tröpfelt Magenbitter in Long Drinks, „eine Mischung aus Kalifornien“, Zimt-Lavendel, und sagt: „Dienstagnacht ist der ruhigste Tag.“ Betrunkene Studenten verbannen wir ins Hinterzimmer, erzählt er, „in den Erasmusbau“. Vor allem die „Kino-Leute“ kämen alleine, „nach der letzten Aufführung, gegen halb zwölf“, und die Leute im Allgemeinen würden nun ernster und nüchterner bei ihm auftauchen als vor ein paar Wochen noch, im Sommer. Keiner hänge jetzt mehr draußen vorm Spätkauf und glühe schon mal vor.

Darf ich mal meinen Erfahrungswert dazu äußern?

Erics Minze riecht, der Gin riecht, und trinkt man viel Gin, riecht beides zusammen wie die Abgerocktheit der Stadt: frisch und scharf. Alles soll flüchtig hingestellt und bewusst kitschig sein, Kerzen und Rosen, die Spülbürste klemmt unterm Plattenspieler, die Angeberflaschen reihen sich im oberen Regal – The Famous Grouse, Jameson, Aquavit. Da sehe ich meine Chance, sagt die Blonde, das wird mega und das ist Berlin. Ihr Smartphonelicht blendet, sie zeigt dem Nasenpiercing-Mann Fotos ihrer Mutter und scrollt durch die Nachrichten einer Bekannten, ein paar liest sie vor: Wieder geht es um Kalifornien. Um ein gebrochenes Bein, eine anstehende OP. Eric sagt: „Wer hier sitzt, vergisst, dass ich mithöre.“ Die Thekengäste würden denken, zwischen ihnen und ihm verlaufe eine unsichtbare Wand – oder eine Wand aus Glas, wie bei diesen Taxis in den USA.

Das Paar links, er mit Glatze, sie mit schweren Lidern, führt langsam etwas auf, das an Ruderrennen erinnert – allerdings nur in eine Richtung: Beugt er sich zu ihr, beugt sie sich zurück. Sie nickt wie aus Pflicht, die Blonde ruft: Daniel Craig ist sein Kumpel? Wirklich? – und alles, was die Gesellschaft derzeit betroffen macht, Pegida und Syrien, Seehofer und die Flüchtlinge, VW und Donald Trump, scheint die Gesellschaft erst wieder morgen zu betreffen. Eric ist das Codewort für Eskapismus, ich hab heute vierzig Telefonate geführt, und Eric ist oft dabei, wenn sich die Einsamkeit zwischen die Zweisamkeit schiebt. Trennungen? „Gibt’s hier etwa eine pro Monat, die letzte vor drei Stunden.“ Man setze sich dann ans Fenster oder an einen Tisch, jedenfalls nah an die Tür.

Nächstes Jahr um die Zeit, sagt die Blonde, September, Oktober, will ich auf jeden Fall ’ne neue Galerie aufmachen. Eher noch im September. Die Frau mit den schweren Lidern hat längst die Rechnung bestellt. „Sieben Euro fünfzig, bitte.“ Der Mann mit der Glatze ist längst aufgestanden.

Eric, der Barkeeper ist oft dabei, wenn sich die Einsamkeit zwischen die Zweisamkeit schiebt

Al Pacino ist sein Kumpel?

Die Gespräche kreisen, die Stimmen schleppen sich. Das „tsch“ wird weich. „Al Pa-schino.“ Eine rauchen wir noch und dann …? Eric räumt auf, poliert Gläser und pfeift, da kommt noch William rein. William ist Drehbuchautor aus Dublin und sagt, er gehe oft allein in Bars, weil Bars wie Stripclubs fürs Gehirn seien. Quatsch, viel mehr: Sie seien wie das Leben – aufregend und schön, würdelos und zäh, ehrlich und verlogen. So ungefähr. Er hat vergessen, wie sein Drink heißt, aber er bestellt immer den gleichen. „Den mit der lila Schicht“, sagt William. „Und wisst ihr auch warum?“

Nein, warum? Lallen und Lachen, machen wir fünfzig! Gehen wir? Gespräch verloren, Übersicht verloren.

„Die Schicht schmeckt nach Blaubeerkuchen.“

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