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Archiv-Artikel

Trockene Nebensachen

Welt, Alltag, Glimmleuchtröhren: „Keks, Frau K. und Katastrophen“, Fanny Müllers gesammelte Kolumnen und andere große Geschichten

Bei meiner Lesung in Hamburg, es ist schon ein paar Jahre her, trat eine kleine, schlanke Frau auf mich zu und nahm sich eins meiner Bücher vom Verkaufstisch. „So, wir tauschen jetzt unsere Bücher“, sagte sie und drückte mir eins ihrer Werke in die Hand. So lernte ich Fanny Müller kennen.

Es war für mich ein gutes Tauschgeschäft. Die „Geschichten von Frau K.“ hatte ich bereits am nächsten Tag auf der Zugfahrt nach Berlin gelesen. Auf Nachschub musste ich nicht lange warten: „Mein Keks gehört mir“ erschien ein Jahr später, zwei Jahre danach kam „Das fehlte noch!“ heraus, und 2003 schließlich, nach unerklärlichen sechs Jahren Pause, gab es „Für Katastrophen ist man nie zu alt“. Diese vier Kolumnenbände sind jetzt in einem dicken, gebundenen Fanny-Müller-Lesebuch von Gerd Haffmans bei Zweitausendeins herausgegeben worden – mit Lesebändchen, wie sich das für ein Buch von diesem Kaliber gehört. Darüber hinaus hat Fanny Müller 39 Geschichten herausgekramt, die bisher nur verstreut in Anthologien oder Zeitschriften aufgetaucht und „vielleicht ja doch zu schade zum Wegschmeißen“ sind, wie sie meint.

Sie hat völlig Recht. Es sind Alltagsgeschichten, deren Witz weniger in den meist banalen Ereignissen begründet ist, sondern in der Art, wie die Autorin sie erzählt. Die Geschichten handeln von Frau K., die mit ihrem Wursthund Trixi im Erdgeschoss wohnt und auf das Haus aufpasst. Sie handeln von ihren eigenen Versuchen, mithilfe eines Wörterbuches Italienisch zu lernen, wobei sie auf nützliche Worte wie „Muffenkupplung“, „Janitscharenmusik“ und „Glimmleuchtröhren“ stößt; von perversen Männern, die keine „Sportschau“ gucken; von streitenden Ehepaaren, die sich Popel an die Innenseite ihrer Mäntel schmieren; und von ihrer Freundin, die an einen Drogenhändler geriet, der sie zwar immer liebevoll mit erstklassigem Dope versorgte, aber irgendwann einfuhr. „Seitdem hält sie sich wieder an Rotwein und Zigaretten“, lautet der lapidare Kommentar. Es ist dieser trockene Humor, der den Geschichten die Komik verleiht. Vielleicht liegt es daran, dass Fanny Müller Hamburgerin ist.

Aber ist sie überhaupt Hamburgerin – oder nur Zugereiste? Der Klappentext verrät wenig: Sie „wurde geboren, kam zur Schule, und so ging es dann immer weiter“. Interessant sind die biografischen Stationen „Kaltmamsell“, „Stewardess auf dem TEE“ und „Bikerbraut“. Um sich Fanny Müller als Bikerbraut vorzustellen, braucht man mindestens ebenso viel Fantasie, wie die Autorin sie beim Verfassen ihrer „Miniaturen von hintergründigem Witz“ aufbringt – so nannte das Szeneblatt Brigitte die Geschichten. Die Süddeutsche Zeitung bezeichnete Müller als „göttlich“, die Hannoversche Allgemeine verglich sie gar mit Ludwig Börne und Heinrich Heine. Bei solch großen Namen wage ich kaum zu sagen, dass sie mich ein wenig an Heinz Knobloch erinnert, jenen großartigen DDR-Feuilletonisten, der ebenso genau die scheinbaren Nebensächlichkeiten beobachtete und ebenso produktiv war, wie Fanny Müller es ist. Aber er hatte ja viele Jahre Vorsprung. Doch im Ernst: „Keks, Frau K. und Katastrophen“ ist eines der schönsten Bücher des vergangenen Jahres. RALF SOTSCHECK

Fanny Müller: „Keks, Frau K. und Katastrophen“. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2004, 592 Seiten, 13,90 Euro