: Treibstoff für die Regierung Morales
REICHTUM Lithium gehört zu den Rohstoffen der Zukunft. Kaum ein Laptop, kaum ein Handy kommt heute ohne Lithium aus. Für Bolivien kann es zum Segen werden – so plant es die Regierung
Wie kann es sein, dass seit dem 6. August 1825 keine natürlichen Ressourcen in unserem Land industrialisiert werden. Wie lange noch soll Bolivien ein Exporteur von Rohstoffen bleiben?“, fragte Boliviens Präsident Evo Morales in einer Antrittsrede am 22. Januar 2006. Mit diesen Sätzen weckte der frisch gekürte Staatschef vielfältige Erwartungen in dem ärmsten Land Lateinamerikas, das bisher kaum vom Reichtum der eigenen Ressourcen hatte profitieren können.
Das sollte sich mit dem überaus tatkräftigen Morales flugs ändern. Bereits im Mai 2006 erließ der ehemalige Vertreter der Cocabauern das Dekret Nr. 28701 und machte so sein vielleicht wichtigstes Wahlversprechen wahr.
Wenig später wurden in einem live im Fernsehen übertragenen Akt die Erdöl- und Erdgasreserven des Landes verstaatlicht. „Das Ende der Plünderung“ nannte es der Präsident.
Doch letztlich setzte man den ausländischen Förderunternehmen die nationale YPFB vor die Nase und legte den Konzernen neue Kooperations- und Förderverträge vor. Die folgten einer neuen Logik, denn fortan wurden die Gewinne unter neuen Vorzeichen aufgeteilt.
Die Marge des Andenstaates und die Tatsache, dass kaum einer der internationalen Förderkonzerne dem Land den Rücken drehte, zeigt, wie tief die Konzerne in Kooperation mit der politischen Elite in die bolivianische Kasse gegriffen hatten. Im Haushalt der Regierung machte sich das schnell positiv bemerkbar, Bolivien hat erstmals seit langer Zeit Kapital zum Investieren.
Willkommene Mittel für die von Morales anvisierte Industrialisierung des Landes im Rahmen des „Plan Patria“. Ziel ist, eine verarbeitende Industrie aufzubauen, um etwas mehr vom eigenen Rohstoffreichtum zu haben. Denn Bolivien hat viel zu bieten: Öl, Gas, Silber, Zinn, Kakao, Soja.
Bolivien sitzt aber auch auf einem Schatz, dessen Hebung noch ansteht. Von Lithium ist die Rede, und dieses „weiße Gold der Zukunft“, wie es Benjamin Beutler im Titel seines Buchs nennt, könnte eine nachholende industrielle Revolution im Andenland finanzieren.
Im Salzsee Salar de Uyuni lagern die derzeit größten bekannten Lithiumvorkommen der Welt. Auf 120 Milliarden US-Dollar wird ihr derzeitiger Wert geschätzt. Doch sollten Elektroautos wirklich zu einer ernsten Alternative werden, dann sind Preisanstiege realistisch, denn Lithium ist der Grundstoff für den Bau leistungsfähiger Akkus mit hoher Speicherkraft. Der Rohstoff soll jedoch nicht schlicht ausgebeutet, sondern in Bolivien auch verarbeitet werden. Zumindest träumt Staatschef Morales vom Elektroauto, „hecho en Bolivia“ (hergestellt in Bolivien).
Das will die Regierung allerdings nicht eigenständig bauen, dafür sucht man im infrastrukturschwachen Bolivien nach strategischen Partnern. Die stehen Schlange, und Delegationen aus aller Herren Länder haben bereits ihre Aufwartung gemacht – für die Ausbeutung des Lithiumreichtums oder für eine direkte Kooperation.
Bei der Ausbeutung scheint Bolivien, so Beutler, auf eigene Technik zu setzen, beim Traum von der auf Lithium gestützten eigenen Autoindustrie wäre hingegen eine Kooperation mit japanischen Herstellern denkbar.
Doch so weit ist es noch nicht, und ohnehin liefert das „weiße Gold der Zukunft“ nur die Klammer für Beutlers kenntnisreiches Porträt einer gebeutelten Nation. Der Berliner Regionalwissenschaftler zeichnet nach, wie die Bevölkerungsmehrheit von wechselnden Eliten über den Tisch gezogen wurde und wie sich der Wandel unter Morales anbahnte und vollzog.
Ob es schließlich der durchaus visionären Regierung in La Paz gelingen wird, Lithium zum Treibstoff der nachholenden und eigenständigen Entwicklung Boliviens zu machen, das wird die nahe Zukunft zeigen. Ein Beispiel für viele andere Länder wäre das allemal.
KNUT HENKEL
■ Benjamin Beutler: „Das weiße Gold der Zukunft. Bolivien und das Lithium“. Rotbuch Verlag, Berlin 2011, 192 Seiten, 12,95 Euro