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Treffpunkt Donaukai

Während die übrigen Passanten vor den Graupelschauern in die warmen Cafes der Budapester Altstadt flüchten, trifft sich eine Gruppe von einigen hundert Menschen am Donaukai. Vor dem Denkmal des ungarischen Nationalhelden Josef von Eötvös versammeln sich wie jeden Abend die „Menekültek“, die Rumänienflüchtlinge, denn das Standbild ist für Neuankömmlinge leicht zu finden. Von hier aus rekrutiert die „Bewegung für ein freies Rumänien“ ihre Anhänger. Unter dem Schutz des freiheitsliebenden Freiherrn werden neue Aktionen besprochen und Informationen aus Rumänien weitergegeben.

Sogar rumänische Politprominenz, die sich abgesetzt hat, traf in den letzten Wochen am Denk mal ein: der KP-Jugendleiter aus Temesvar und noch ein anderer lokaler Parteichef und nicht zu letzt Laszlo Bihari, einst Politbüromitglied der Ceausescu -Partei und für die Propaganda zuständiger Minister.

Natürlich hat der rumänische Geheimdienst Securitate seine Ohren auch am Donaukai - doch keiner hält sich mit diesen Skrupeln auf. Ohnehin wird jeder der Anwesenden in der Heimat steckbrieflich gesucht. Ceausescu stellte mehrmals Auslieferungsanträge an die Genossen in Budapest, bekam jedoch keine Antwort. Nicht mehr.

Die Leute am Denkmal sind in ihrer Jeanskleidung kaum noch als Flüchtlinge zu erkennen. Denn je mehr die „Dorfentwicklungspläne“ Ceausescus, die Unterdrückung der nationalen Minderheiten und die katastrophale Ernährungssituation über die Grenzen Rumäniens dringen, desto einfacher ist es für die Flüchtlinge, sich in ihrer neuen Wahlheimat zu organisieren: Papiere müssen besorgt werden, Schwarzarbeit und Wohnraum. Aber nicht jeder hat Glück. Bei den rund 25.000 Arbeitslosen, die durch die ungarische Wirtschaftsreform freigesetzt worden sind, finden die Menekültek oftmals nur körperlich schwere Jobs in der Landwirtschaft oder im Straßenbau oder als Putzfrauen.

Wann immer sich die Dissidenten zu einer Menschenrechtskonferenz versammeln oder Umweltschützer in Ungarn demonstrieren - „Romania libera“ mischt sich mit ein. Und wenn Virgil Parvu, der Sprecher der Initiative, am rumänischen Nationalfeiertag zum Hungerstreik aufruft, sendet die polnische Tagesschau einen Filmbericht. „Die Gastfreundschaft uns gegenüber ist großartig“, erzählt Parvu. „In Rumänien werden Ungarn und Rumänen so gegeneinander aufgehetzt, daß man gar nicht glauben mag, es könne auch anders sein.“

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