: Trauma Tanzschule
Kollektive Publikumserinnerung: Die Gruppe She She Pop zieht in ihrer gelungenen Mitmachpeformance „warum tanzt ihr nicht?“ das Publikum gnadenlos aufs Parkett
„Are you lonesome tonight“, schnulzt Elvis aus dem Lautsprecher, die Japanlampen spenden über den Stühlen am Rande der großen, leeren Tanzfläche Schummerlicht, verlegen rutschen die Zuschauer auf ihren Plätzen hin und her – es ist peinlich. So wie damals auf den Klassenfesten, wo in der letzten Stunde Engtanz angesagt war. Alle wollen, niemand traut sich. Manche hoffen, nicht schon wieder von dem pickeligen Jungen aufgefordert zu werden und dann die Nase in seine schweißige Achsel tauchen zu müssen.
Auf diese kollektive Publikumserinnerung bauen die She She Pop-Performerinnen mit ihrem neuen Stück warum tanzt ihr nicht? Denn ihre programmatische Frage meinen sie ernst und fordern die BesucherInnen zum Tanz auf. Ob Jung, Alt, Frau, Mann, alle müssen ihre Rumba-, Walzer und Foxtrottkenntnisse beweisen, und das unter dem Druck der Quality Card. Die prangt in Din-A4-Format auf ihrem Rücken. Nach jeder Runde tragen die PartnerInnen gegenseitig ihre Bewertungen ein: Stinkt oder duftet die Person, ist sie diskret, aufdringlich, romantisch, und ganz wichtig: Hat sie einen Bausparvertrag?
Diese Bewertungskriterien, diese Performerinnen in ihren bunten, billigen Tüllkleidern, dieser Sebastian Bark, als einziger Mann im Team erkennbar an seiner Anzughose mit der Aufschrift „Nature Boy“, all diese stilisierten Übertreibungen entlarven das Wesen aller Tanzveranstaltugen als Spielfeld von Normierungen und Beurteilungen. Das ist intelligent, Performance im Sinne der Geschlechtertheoretikerin Judith Butler.
Denn Sebastians Hose verkündet Männlichkeit, die Tüllkleider zitieren ihrerseits die Uniform der Weiblichkeit, Ilia Papatheodorou inszeniert sich als Bruch dieser Geschlechternormen mit Ballkleid und Robin-Hood-Bart aus schwarzem Klebeband. „Mama, Papa“, grölt Berit Stumpf, den Blick auf den Tisch gerichtet, an den sich die größten Tanzmuffel geflüchtet haben, „ihr seid auch da.“ Plötzlich sitzen die Flüchtigen im Rampenlicht, per Namensschild als „Mutter“, „Vater“, „Schwester“ definiert.
Während Berit ihrer „Mutti“ Fotos ihrer Tochter zeigt, beginnt Mieke Matzke eine vor Ironie tropfende Hommage an das Kleinbürgertum. Beschreibt das „weiße Einfamilienhaus“ ihrer Schwester, samt dreier Kindern und der Pinwand voller Adressen von Schulfreunden, Klavierlehrerin und Fußballtrainer. Bei aller Gesellschaftskritik offenbaren sich die She She Pops als zugehörig zum Heer der Durchschnittlichen, Kleinkarierten, Enttäuschten. Das macht sie so bestechend sympathisch und diese Mitmachperformance sehr menschlich. Katrin Jäger
weitere Vorstellungen: heute – 18.1., 21.1. – 24.1., Kampnagel, 20:30 Uhr