: Traum vom Frauenraum
■ Frauenszene im Wandel: Zwischen Ost-West-Fremdheit und Generationsumbruch auf der Suche nach neuen Standorten
Als Jutta W. und Mischka C. vor vier Jahren das traditionsreiche „Dinelo“ in der Schöneberger Vorbergstraße kauften, erfüllten sie sich einen Traum: Ein Restaurant für Frauen von Frauen – die gelernte Schlosserin und die medizinisch-technische Angestellte wollten ihr Bedürfnis, mit Frauen zu leben, auch außerhalb der eigenen vier Wände verwirklichen.
Der Traum zerplatzte aber schlagartig, als im Juni 93 die Frauenkneipe „Golden Girls“ nur einige Straßen weiter seine Pforten öffnete. Gründe, so eine Kennerin der Szene, nicht mehr ins „Dinelo“ zu gehen, gab es einige: freundlicher Service im „Golden Girls“ und die Tatsache, daß Jutta W. und Mischka C. in der Frauenszene nicht richtig akzeptiert waren. „Das Dinelo war schlagartig leer“, erzählt Jutta W. ziemlich frustriert. Nach drei Monaten gähnender Leere beschlossen die beiden, ihre Kneipe auch für Männer zu öffnen. Sie erhofften sich damit einen besseren Umsatz, der Laden läuft aber auch nach der Umstellung schlecht. Leicht sei es ihnen nicht gefallen, sagen sie einmütig, aber die prekäre finanzielle Lage hätte sie zu dieser Entscheidung gezwungen. Die ehemaligen Kundinnen nehmen ihnen den Männer- Eintritt in die Frauen-Welt übel: Die Szene boykottierte das „Dinelo“, eines Nachts wurden sogar das Türschloß verklebt und das Auto zerkratzt. „Wir werden als Verräterinnen bezeichnet, dabei fühlen wir uns verraten“, sagt Jutta W. verbittert. Eine Kneipe nur für Frauen kommt für sie deshalb nicht mehr in Frage, denn, so ihr Fazit, „mit Frauen kann man einfach nicht wirtschaften“.
Daß ein reines Frauen-Café oder Restaurant tatsächlich weniger Profit als ein gemischtes abwirft, weiß auch Tamara Multhaupt vom Kulturzentrum „Begine“ in der Potsdamer Straße: „Frauen haben einfach weniger Geld als Männer und konsumieren ganz anders.“ Frau, die einsam am Tresen sitzt und ein Bier nach dem anderen zischt, gäbe es kaum. Die „Begine“ werde vor allem von Frauen-Gruppen genutzt.
Eigene Lebensräume für Frauen zu schaffen und vor allen Dingen zu erhalten, habe, so die „Begine“-Mitarbeiterin, nach wie vor Priorität bei der feministischen Arbeit, denn „besonders die jüngeren Frauen zwischen 20 und 30 nehmen Frauenprojekte als relativ selbstverständlich und denken häufig nicht daran, daß wir ständig finanziell bedroht sind.“ Die Frauenszene sei zwar zahlenmäßig größer geworden, zersplittere aber immer mehr. „Es gibt heute keine gemeinsame frauenpolitische Vision mehr“, sagt Tamara Multhaupt. Sie meint das durchaus positiv. Die Frauen spezialisierten sich auf einzelne politische Bereiche, beispielsweise auf Antirassismus oder die Vorbereitung von Gay-Games.
Mindestens zwei feministische Generationen gibt es auch in der Kreuzberger Schokofabrik, die sich als Stadtteilzentrum für Frauen aller Nationalitäten versteht. „Leider haben jüngere Frauen heutzutage sehr viel schlechtere Möglichkeiten, eigenes Terrain zu erobern“, sagt Dagmar Becker, seit sechs Jahren Schoko-Mitarbeiterin. Im Gegensatz zu den siebziger und achtziger Jahren gebe es heute kaum noch Möglichkeiten, Frauenprojekte ähnlich wie die Schokofabrik entstehen zu lassen, weil billige Räume fehlten. „Deshalb wirkt die Frauenbewegung auf jüngere Frauen auch so unattraktiv, weil sie sich nirgendwo richtig entfalten können“, glaubt Dagmar Becker. In der Schokofabrik werde diesem „Generationskonflikt“ ein wenig entgegengetreten: So schmeißen dort schon seit einiger Zeit Jüngere das Café. Sie haben dort die Möglichkeit, so Dagmar Becker, eigene politische Wertungen und Meinungen zu entwickeln. Gemeinsame Aktionen von allen Schoko- Frauen gibt es aber nur selten, denn, so Dagmar Beckers Einschätzung, „dazu sind wir viel zu unterschiedlich und arbeiten viel zu unabhängig voneinander“.
Feministinnen aus dem Ost- und Westteil zu mehr Zusammenarbeit zu bewegen, um eine gemeinsame politische Vision weiterzuentwickeln, möchte Marinka Körzendörfer vom Unabhängigen Frauenverband (UFV). In der Vergangenheit war das manchmal nicht einfach, aber die Vorbereitungen zum diesjährigen 8.März hätten Ost- und Westfrauen nähergebracht. „Natürlich gibt es in der Arbeitsweise immer noch Unterschiede, oder auch in der Sprache“, beschreibt die Koordinatorin des FrauenStreikTages die Zusammenarbeit, „aber das Ziel der Feministinnen, nämlich die patriarchalen Strukturen zu überwinden, ist doch das gleiche.“
So war es auch nach der Wende erst mal nicht selbstverständlich, reine Frauenräume zu fordern. Frauen wollten zwar bei Projekten und Kneipen die Regie führen, brachten aber auch Mann oder Freund mit – für West-Feministinnen unvorstellbar. Das Bewußtsein aber habe sich geändert, sagt Marinka Körzendörfer, „denn feministische Politik mit Männern in Frauenräumen zu machen, geht eben nicht.“ Julia Naumann
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