: Trauerfeier für die Armen
WÜRDIGES BEGEBRÄBNIS Die meisten Kommunen begraben arme Verstorbene anonym und billig. In Göttingen und Bremen gibt es aber inzwischen Begräbnisfeiern für sie
VON JOACHIM GÖRES
Vor drei Jahren ist Hedwig Stuckhard* in Celle mittellos gestorben. Weil es keine Verwandten mehr gab, war die Stadt Celle für die Bestattung zuständig. Die hätte sie in einem Urnengrab auf einem extra dafür reservierten Platz auf dem kommunalen Stadtfriedhof beerdigt – ohne Namen, ohne Bekanntmachung des Termins, ohne Feier.
„Das kann man doch nicht machen, man muss doch das Leben und den Willen der Toten beachten“, fand Pastor Michael Kurmeier. Er kannte Hedwig Stuckhard, wusste, dass sie auf dem Grab ihres Lebensgefährten beerdigt werden wollte, den sie jahrelang gepflegt hatte. Kurmeier veranlasste für das Mitglied seiner Kirchengemeinde eine Trauerfeier, zu der mehr als ein Dutzend Gäste kamen. Und er sorgte dafür, dass die Verstorbene auf dem Grab des Partners beigesetzt werden konnte. Auf den Kosten blieb er sitzen: Die Stadt Celle lehnte die Übernahme ab, weil die Bestattungsleistungen größer waren als gesetzlich vorgeschrieben.
Wenn es nämlich keine engen Verwandten gibt, die die Kosten für eine Beerdigung übernehmen müssen und der Verstorbene keine Ersparnisse hatte, muss die Kommune einspringen.
„Die Einäscherung mit anonymer Beisetzung ohne Öffentlichkeit ist in den meisten Gemeinden der übliche Weg, weil sie so Kosten und Zeit sparen“, sagt Christoph Keldenich, Geschäftsführer von „Aeternitas“, einer Verbraucherinitiative für Bestattungskultur.
Sei die Krankenkassen vor acht Jahren das Sterbegeld abgeschafft haben, nehmen diese Fälle zu: 2006 gab es in Hamburg 676 solcher Beisetzungen, 2011 waren es schon 806. Bundesweit geht man pro Jahr von über 10.000 Armenbestattungen aus. Einige Kommunen bestatten ihre mittellosen Verstorbenen auf zum Teil weit entfernten Friedhöfen, wenn dort die Gebühren niedriger sind. „Wir finden das rechtlich nicht in Ordnung, aber es gibt keine Betroffenen, die dagegen klagen könnten“, sagt „Aeternitas“-Chef Keldenich.
Auch in Göttingen ließ man ordnungsbehördliche Bestattungen aus Kostengründen bis vor einigen Jahren in Nachbargemeinden durchführen. „Wir waren damit nicht glücklich und suchten nach einer würdigen Form des Abschieds. Wir sind sehr froh, dass wir dabei die Tobias-Bruderschaft als Partner gefunden haben“, sagt Wolfgang Giesse, der Leiter des Fachdienstes Friedhöfe in Göttingen.
Die 2009 gegründete Bruderschaft, der vor allem evangelische Pastoren angehören, will arme Menschen bestatten. „Wir sehen uns als Ersatz-Familie für diejenigen, die am Ende ihres Lebens niemanden mehr haben“, sagt Pastor Martin Hauschild.
Alle drei Monate lädt die Bruderschaft mit einer Traueranzeige in der lokalen Tageszeitung, in der die Namen der rund ein Dutzend Toten genannt werden, zu einer Trauerandacht ein. In einer Friedhofskapelle, die die Stadt kostenlos zur Verfügung stellt, stehen die Urnen der Verstorbenen mit Namensschildern auf einem Tisch. Musik erklingt, Gäste können eine Kerze aufstellen, eine kurze Predigt folgt.
Dann tragen die Mitglieder der Bruderschaft die Urnen aus der Kapelle zum Grab, gefolgt von den Besuchern der Zeremonie. Wer will, kann Erde und Blütenblätter auf die Urnen im Grab werfen. Eine christliche Abschiedsfeier auch für Menschen, die mit Religion und Glauben womöglich nichts im Sinn hatten. Für Hauschild kein Problem: „Wir wissen nichts über die Toten.“
Kritische Stimmen hat er deswegen noch nicht gehört, im Gegenteil. „Wir hatten bislang zwischen 20 und 60 Gäste, die durch die Anzeige von der Trauerfeier erfahren haben, zum Beispiel ehemalige Nachbarn, Kollegen oder Sportkameraden. Es sind nicht in erster Linie vereinsamte Wohnungslose, die mittellos sterben, sondern immer mehr hochbetagte ältere Damen aus Seniorenheimen, die ihre Verwandtschaft überlebt haben. Und bei unseren Trauerfeiern sagen die Hinterbliebenen immer wieder, dass sie froh sind, überhaupt vom Tod desjenigen erfahren zu haben und hier Abschied nehmen zu können“, berichtet Hauschild. Der Name der Toten wird anschließend auf einer ein Meter hohen Stele eingraviert. „Uns entstehen durch diese viel bessere Form des Abschieds kaum höhere Kosten“, sagt Giesse, Leiter des Göttinger Fachdienstes Friedhöfe.
In Bremen hat die Wohnungslosenhilfe des Diakonischen Werks erreicht, dass es für wohnungslose Menschen eine spezielle Grabstätte gibt. Musiker spielen ehrenamtlich auf einer Trauerfeier, ein Bestattungsinstitut spendet Blumenschmuck sowie eine Überurne, und an der Grabstätte wird der Name des Verstorbenen verzeichnet.
„Obdachlose sagen häufig: ‚Wenn ich mal nicht mehr bin, dann werde ich einfach unter der Erde verschwinden, keiner weiß, wo.‘ Das macht vielen zu schaffen. Zum Glück ist das in Bremen jetzt nicht mehr so“, sagt Bertold Reetz, Leiter der Bremer Wohnungslosenhilfe. Und in Kiel hat die Gemeinde Heilig-Kreuz-Passion 2002 eine historische Grabstätte erworben, auf der Menschen, die seit Jahren durch die Gemeinde betreut werden und sich kein „namentliches“ Grab leisten können, beigesetzt werden können.
* Name geändert