Trash is over

Die Modemacher der Oderberger Straße haben nichts am Hut mit dem oft zitierten „Berlin Style“. Es geht ihnen um die Erschaffung einer eigenen Welt

von KATRIN KRUSE

Der Tag beginnt mittags, wenn im „Kauf dich glücklich“-Laden das Eis-Fähnchen an die Fassade gehängt wird. Erst jetzt öffnen auch die Modegeschäfte. Hier, wo die Geschäftigkeit der Kastanienallee – gern auch „Castingallee“ genannt – zum ehemaligen Mauerstreifen hin ausläuft, trifft Chic auf Heruntergekommes, treffen pastellige Fassaden auf Einschusslöcher. Die Oderberger Straße ist ein Ort der Kontraste, oder mehr noch: ein Ort des Übergangs. Berlin eben. Denn dass die Stadt mit dem Transitorium gleichgesetzt wird, in dem sie sich befindet, daran hat man sich schon gewöhnt. Welche Straße also könnte als Produktionsstätte dessen, was „Berlin Style“ genannt wird, besser geeignet sein, mag man meinen – und täuscht sich. Denn die Oderberger Straße hat den Übergang hinter sich gelassen. Den Modemacherinnen, die seit kurzem in der Oderberger Straße zu Hause sind, ist es nicht mehr genug, das Transitorium abzubilden. Sie lassen, jenseits vom Trash-Chic, ihre eigene Welt entstehen.

Was das eigentlich ist, der „Berlin Style“, fragt sich, wer die Oderberger Straße hinuntergeht, auf der Suche nach Gemeinsamkeiten von „Hasi Pop“, „Hit-in.TV“ und „hartbo + L’wig“. Befragt man nämlich die, die von ihm schwärmen, nach konkreten Formen, so heißt es meist, zu einer eigenen Mode hätte es die Stadt gar nicht gebracht. Höchstens zu einer Art unerschrockenem Kombinationsvermögen, einer 80er-Jahre-inspirierten Mischung aus Retro, Trash und – für die Damen – Mädchenhaftigkeit. Fakt ist: Wenn es überhaupt zur Produktion kommt, ist die Verarbeitung eher dürftig, als solle das Provisorische der Stadt in Mode übersetzt werden. Diese Auffassung hält sich seit fast vier Jahren. Für Mode ist das eine kleine Ewigkeit. Bei „Hasi Pop“ funktioniert der „Berlin Style“ noch immer. Hier trifft die Sexiness der freigelegten Schulter auf die Welt der Hasis und Mausis. Bald wird der Laden ein Museum sein.

Wer nämlich die Oderberger Straße weiter hinuntergeht, der wird feststellen, dass die kleine Ewigkeit an ihr Ende gekommen ist. In zwei neuen Ladenateliers beginnt man, Mode zu machen, die sich vom bloßen Stilwollen entfernt. Es sind unterschiedliche Entwürfe, die hier entstehen. Vom „Berlin Style“ bleibt nur eines: Die Mädchenhaftigkeit.

Elle Janssen von „Hit-in.TV“ etwa verarbeitet Stoffe, die aus der Zeit stammen, als sie ein Mädchen war. Was in dem kleinen Ateliergeschäft vor allem auffällt, sind die Muster und Farben der Taschen, Röcke und Pullover. Janssens Großmütter waren Schneiderinnen und haben Stoffe regelrecht gehortet. Noch immer kann die Enkelin aus der Fülle des Materials schöpfen, aus geblümtem und gepunktetem Bunt. Auch sonst, meint die gelernte Grafikdesignerin, habe sie Hang zum Altmodischen. Pullover mit Puffärmeln etwa: Janssen macht sie mit Frottee. So trifft das Altmodische auf das Mädchen. Man müsse eben kombinieren, sagt Janssen. Und obwohl Kombinieren wieder ein wenig so klingt: Mit „Berlin Style“ haben Elle Janssens Entwürfe nichts zu tun. Zwar erscheint die Biografie der 32-Jährigen, die seit drei Monaten ihren Laden in der Oderberger Straße hat, wie ein Paradebeispiel für Berliner Ökonomie, zwar hat auch sie das Transitorische als Inspirationsquelle genutzt – zufällig geriet Elle sie an einen Lagervorrat Markisenstoffe aus den 70er-Jahren und begann ihre Karriere, indem sie daraus Taschen nähte – dennoch blieb es bei ihr nicht dabei, diese Atmosphäre des Übergangs einfach nur abzubilden. Zwar hat sie in den 80er-Jahren zu nähen begonnen – doch von den schlingernden, ungesäumten Nähten dieser Zeit, der auch im „Berlin Style“ kopiert wird, hat sie sich längst verabschiedet. Bei ihr ist die Verarbeitung sorgfältig, es geht um die Liebe zum Detail. Da sind kurze Röcke, da sind Pullover mit Rollbündchen, die ein wenig aussehen, als habe sich das Kind im Schlafanzug noch einmal zu den Erwachsenen begeben. Mädchenhaftigkeit bedeutet hier nicht „hingerotzte“ Niedlichkeit, sondern ein Dialog mit Vergangenem.

Schräg gegenüber, bei „hartbo+L’wig“, finden sich ausnahmslos zarte Stoffe und verspielte Formen auf den Kleiderstangen. Da ist der Tellerrock aus weißem Leinen mit gepunktetem Unterrock mit blauen Pailletten; da ist das Chiffonoberteil, ein Hauch von Zitronengelb mit einem Herz aus Glasperlen. Winter, war das nicht die Jahreszeit mit den Minusgraden? „Forget all about winter now“ heißt die Kollektion, wo pastellige Farben die Tendenz zum Dunkelgrau unterwandern. Hier erschafft sich Mode eine eigene Welt.

Sarah Elbo und Andrea Hartwig, 31 und 24 Jahre alt, haben sich beim Studium an der Berliner Modeschule Esmod getroffen. Im Mai 2002 war der Abschluss, seit Dezember 2002 gibt es das Ladenatelier; im nächsten Jahr werden sie in Paris sein. Es geht zügig voran. Kollektionen statt Einzelstücke: Die beiden machen, was man in der Modewelt unter Modemachen versteht. Im Berlin des „Berlin Style“ hat man bisher etwas anderes darunter verstanden. Spricht man die beiden auf den „Berlin Style“ an, fangen sie an zu schimpfen: „Schlecht verarbeitet, bunt bedruckt. Was haben unsere Sachen damit zu tun?“ Dennoch sind beide in Berlin geblieben. Sie schätzen die Stadt mit ihren verschiedenen Atmosphären, Zeichen, Dresscodes. Kein schlechter Hintergrund: nicht um ihn einfach nur abzubilden, sondern um vor ihm eine eigene Sprache zu entwickeln.

Und wie steht es um die Mädchenhaftigkeit bei den beiden? Auch „hartbo+L’wig“ erklären, dass sie von ihren Großmüttern inspiriert seien: Es gilt, das Feminine zurückzuholen. Toughe, sexy Mädchen wollen sie anziehen, sagt Sarah Elbo, und sie sagt sogar: „Gören“. Man kann sicher sein, dass damit nicht die Gören gemeint sind, die noch bei „Hasipop“ einkaufen.