Transrapid: Stoiber will zum Abschied entschweben
Bayerns Ministerpräsident will von der Kanzlerin hunderte Millionen Euro für den Transrapid. Warum? taz.de dokumentiert seine legendäre Rede von 2006.
Wenn Edmund Stoiber in diesen Tagen in Bayern auftritt, folgen Dramaturgie und Rhetorik einer übersichtlichen Linie: Erst preist er den Freistaat Bayern. Dann lobt er seine eigenen Leistungen in den vergangenen 14 Jahren als Ministerpräsident. Um schließlich entschlossen zu verkünden, was er in seinen letzten Wochen im Amt noch durchsetzen will: "Dass der Transrapid als nationales technologisches Leitprojekt realisiert wird." Der Transrapid in Bayern soll sein Denkmal werden. Die Magnetschwebebahn aus dem Hause Siemens soll zwischen Münchner Hauptbahnhof und Franz-Josef-Strauß-Flughafen gebaut werden, die Fahrtzeit würde 10 statt wie bisher 40 Minuten betragen. Stoibers Abschiedsgeschenk an sich selbst. Sogar die sonst so obrigkeitsergebene Bayerische Staatszeitung spottet bereits über den "Edmund-Stoiber-Gedächtnis-Transrapid".
"Wenn Sie vom Hauptbahnhof in München ... mit zehn Minuten, ohne, dass Sie am Flughafen noch einchecken müssen, dann starten Sie im Grunde genommen am Flughafen ... am ... am Hauptbahnhof in München starten Sie Ihren Flug. Zehn Minuten. Schauen Sie sich mal die großen Flughäfen an, wenn Sie in Heathrow in London oder sonst wo, meine sehr ... äh, Charles de Gaulle in Frankreich oder in ... in ... in Rom. Wenn Sie sich mal die Entfernungen anschauen, wenn Sie Frankfurt sich ansehen, dann werden Sie feststellen, dass zehn Minuten Sie jederzeit locker in Frankfurt brauchen, um ihr Gate zu finden.
Wenn Sie vom Flug ... vom ... vom Hauptbahnhof starten - Sie steigen in den Hauptbahnhof ein, Sie fahren mit dem Transrapid in zehn Minuten an den Flughafen in ... an den Flughafen Franz Josef Strauß. Dann starten Sie praktisch hier am Hauptbahnhof in München. Das bedeutet natürlich, dass der Hauptbahnhof im Grunde genommen näher an Bayern ... an die bayerischen Städte heranwächst, weil das ja klar ist, weil auf dem Hauptbahnhof viele Linien aus Bayern zusammenlaufen."
Heute gehen nun die Verhandlungen zwischen Bayern und dem Bund in die "finale Phase", wie aus der bayerischen Regierung zu hören ist. Am heutigen Montag trifft Stoiber in Berlin Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und SPD-Chef Kurt Beck zum Koalitionsgespräch und will dort eine Entscheidung herbeiführen. Im Laufe der Woche sollen dann Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee (SPD) und der bayerische Wirtschafts- und Verkehrsminister Erwin Huber (CSU) zusammenkommen, um die Details zu klären.
Und dabei geht es um Geld: Bayerns Wirtschaftsminister Huber rechnet mit 1,85 Milliarden Euro, die Grünen im Bayerischen Landtag schätzen, dass das Projekt mindestens 2,8 Milliarden Euro kosten wird. Rechnet man die nötigen Sicherheitsvorkehrungen dazu, kommt ein Gutachten des renommierten Verkehrswissenschaftlers Rössler auf 3,36 Milliarden Euro.
Das meiste Geld davon wird der Steuerzahler aufbringen - egal wie hoch die Kosten werden. Der Bund soll nach der Vorstellung Bayerns die Hälfte der Huberschen 1,85 Milliarden zahlen, der Freistaat 300 Millionen Euro, die staatliche Deutsche Bahn als spätere Betreiberin 185 Millionen und der Flughafen München - im Besitz der öffentlichen Hand - 100 Millionen Euro. Der Bund hat bisher im Haushalt lediglich 550 Millionen Euro eingeplant. Die Europäische Union hat vor kurzem signalisiert, dass von ihr nichts zu erwarten sei. So klafft eine Finanzierungslücke: Je nach Rechnung fehlen zwischen 400 Millionen und knapp 2 Milliarden Euro.
Der SPD-Haushaltspolitiker Johannes Kahrs verlangt von der Bundesregierung eine harte Linie in der Verhandlung mit Stoiber. Der Bund solle keinesfalls mehr bezahlen als Bayern. "Die Anbindung des Franz-Josef-Strauß-Flughafens an den Münchner Hauptbahnhof ist kein nationales Leuchtturmprojekt", sagte Kahrs am Wochenende der taz. "Das ist ein bayerisches Nahverkehrsprojekt." Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses im Bundestag, Otto Fricke (FDP), sieht neben Bayern auch die Bahn und das Transrapid-Hersteller-Konsortium der Konzerne ThyssenKruppp und Siemens in der Pflicht. "Der Bund darf nicht wieder die Melkkuh sein", sagt Fricke.
Auch Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) ist strikt gegen den Transrapid. "Die Magnetbahn statt oder neben einer S-Bahn auf kurzen Strecken einzusetzen macht wenig Sinn." Damit stellt er sich gegen seinen SPD-Kabinettskollegen Tiefensee, der die Magnetbahn in München realisieren will, nachdem die Strecke Hamburg-Berlin im Jahr 2000 gescheitert ist.
Schärfster Kritiker ist und bleibt aber der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD), der sich schon seit Jahren gegen eine Transrapid-Trasse zum Flughafen wehrt. Er hatte in den vergangenen Wochen damit gedroht, einen Finanzierungsanteil des Flughafens, an dem die Stadt rund 20 Prozent der Anteile hält, zu blockieren. Rechtlich ist dies jedoch umstritten. Statt dem "sündteuren und verkehrspolitisch unsinnigen Prestigeprojekt" favorisiert Ude eine Express-S-Bahn auf der 37 Kilometer langen Strecke. Diese sei mit rund 500 Millionen Euro deutlich günstiger als der Transrapid. Und auch die Münchner selbst scheinen nicht gerade begeistert zu sein von den Magnetbahn-Plänen. Rund 23.500 Einwendungen gegen die Baupläne haben Anlieger bereits eingereicht. In Umfragen und Bürgerversammlungen hat sich stets eine deutliche Mehrheit gegen den Transrapid ausgesprochen.
Stoiber aber ist offenbar bereit, für den Transrapid alles zu tun. Schließlich könnte er sich mit dem Transrapid nicht nur ein Denkmal setzen, sondern auch dem in München ansässigen, durch den Korruptionsskandal arg gebeutelten Weltkonzern Siemens einen Gefallen tun. Mit der Trasse zum Münchner Flughafen bekäme das Transrapid-Konsortium seine lange geforderte "Referenzstrecke" in Deutschland, mit der die Magnetschwebebahn zum Exportschlager werden soll.
Hierfür würde Stoiber auch tief in die Tasche greifen. In seiner letzten Regierungserklärung hatte er angekündigt, notfalls auch das bayerische Tafelsilber zu verscheuern und die Magnetbahn aus Privatisierungserlösen zu finanzieren, etwa durch den Verkauf von Eon-Aktien, die der Freistaat hält.
Doch so bedingungslos sind selbst in der CSU längst nicht mehr alle Politiker. "Das Geld wäre im ländlichen Raum besser aufgehoben als in München", sagt ein CSU-Landtagsabgeordneter aus Unterfranken. Und auch Stoibers Nachfolger als Ministerpräsident, Günther Beckstein (CSU), ist vorsichtshalber schon mal auf Distanz gegangen. Er wolle den Transrapid nicht "um jeden Preis", ließ er Ende Juli wissen. Beckstein macht damit klar: Eine Niederlage wäre nicht seine - sondern Stoibers. Seine wohl letzte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hype um Boris Pistorius
Fragwürdige Beliebtheit
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
SPD-Linker Sebastian Roloff
„Die Debatte über die Kanzlerkandidatur kommt zur Unzeit“
BSW stimmt in Sachsen für AfD-Antrag
Es wächst zusammen, was zusammengehört
Russischer Angriff auf die Ukraine
Tausend Tage Krieg
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus