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Archiv-Artikel

Transgenial, nicht transegal

Heute zieht der „Transgeniale CSD“ durch Friedrchshain und Kreuzberg. Damit hält der alternative Christopher Street Day trotz WM am traditionellen Datum fest. Und bleibt kämpferisch wie eh und je

VON WALTRAUD SCHWAB

Unter dem Motto „Keine Privatsache“ findet heute der „Transgeniale CSD“ in Kreuzberg und Friedrichshain statt. Die Demonstration zieht bewusst an den neuen Investorenprojekten vorbei, die zurzeit an beiden Spreeufern angesiedelt werden. Damit soll auf die Privatisierung öffentlichen Eigentums und die Investionsförderung durch Steuergelder hingewiesen werden. Denn diese kontrastieren mit der Verarmung von Teilen der Bevölkerung – auch von Leuten in der schwul-lesbisch-queeren Szene. „Verarmung und Privatisierung sind keine Privatsachen“, wird argumentiert. Damit erlebt der Transgeniale CSD, der zeitweise auch unter dem Gefühl „Solidarität war gestern“ litt, ein Revival.

„Transgenial“ steht dabei für alle Varianten sexueller Identität. Der CSD der Transgenialen gilt als die politisch korrekte Variante zum großen CSD. Parteien und Kommerz werden abgelehnt. „Kommerz grenzt aus“, sagt Samira Fansa, eine der Organisatorinnen.

Anders als der große CSD-Bruder findet das transgeniale Ereignis an diesem, dem traditionellen CSD-Wochenende statt. Denn seit einem Vierteljahrhundert steht in der Berliner Homosexuellenwelt fest: Der letzte Samstag im Juni gehört ihr. Da wird der Christopher Street Day gefeiert, die Ausgrenzung von sexuell nicht bipolar orientierten Menschen wird angeprangert. Hunderttausende kommen, demonstrieren und amüsieren sich.

Dieses Jahr allerdings ist die Fußball-WM mit ihren Fanmassen in der Stadt. Deshalb wurde die Parade des großen CSD, die über den Kurfürstendamm zum Tiergarten führt, auf Ende verschoben. Das passe zum Image der „Produktparade“, sagen KritikerInnen. Tatsächlich sind Zigaretten-, Alkohol-, Kosmetik- und Klamottenfirmen dort für jeden sichtbar präsent. Als „CSD – Commercial Street Day“ wird die Parade schon verspottet.

Die Geschichte des Kreuzberger CSD begann vor neun Jahren. Damals sollte, wer am großen Umzug mit einem Wagen teilnehmen wollte, eine Gebühr entrichten. Die transgeniale Variante des CSD entwickelte sich aus Protest dagegen.

Nun also findet sie, allen letztjährigen Abschiedsrufen zum Trotz, doch statt. Und zwar mit starken politischen Anliegen. Rassismus und Festung Europa, Homophobie in Polen und konservativer Mainstream, Reichtum und Armut – alle diese Themen werden aufgegriffen. So hat sich etwa im Vorfeld eine Sozial-AG gegründet, die die neue Verelendung in Deutschland öffentlich machen will. „Noch individualisieren Politik und Mehrheitsgesellschaft das Armutsproblem“, sagt Fansa. Wenn Leute nicht zum Arzt gehen, um zehn Euro zu sparen, wenn sie sich schleichend ausgrenzen, weil sie kein Geld mehr haben, um an irgendetwas teilzunehmen, wenn sie als Sozialschmarotzer oder Arbeitsscheue bezeichnet werden, dann sei Handeln angesagt. „Stellt man die Verarmung von Leuten den staatlichen Subventionen für Firmenimperien gegenüber, dann ist Handeln erst recht angesagt“, meint Fansa. Deshalb zieht die Demo am Anschutz-Gelände, an MTV und Universal, am Nike-Showroom und am künftigen Media-Spree-Standort vorbei. Es sind Firmen, die das Image von Friedrichshain-Kreuzberg nachhaltig beeinflussen könnten. „Gentrifizierung“ nennt man gezielt herbeigeführte Veränderungen von Bewohnerstrukturen in ghettoisierten Stadtteilen gern. „Vertreibung“ nennen es die Veranstalter des Transgenialen CSD. Die fürchten sie.

„Wir müssen Armut skandalisieren“, sagt eine Mitstreiterin. Es wird ein offenes Mikrofon geben auf dem Kreuzberger CSD. „Wir versuchen, die Leute dazu zu bewegen zu erzählen, wovon sie leben, welche Sachen sie sich nicht mehr leisten, welchen Stress sie mit dem Amt haben, wie sie sich politisch in Sachen Armut verhalten“, berichtet eine Frau aus der Organisationsgruppe. Das Image vom potenten Schwulen, der von den Unternehmen werbetechnisch gekapert wird, habe nie für alle gegolten. Und Fansa: „Wenn man den eigenen Kampf nicht mit gesellschaftlichen Entwicklungen verbindet, wird man davon überholt. Exklusives Lobbying für Homorechte führt in eine Sackgasse. Die Homoehe ist ein gutes Beispiel dafür.“