Trainerwechel bei den Bayern: Noch-Bayer-Trainer Heynckes schweigt
Auch nach dem Rausschmiss von Trainer Louis van Gaal bleibt für Bayern München die Qualifikation für die Champions League das Ziel. Andries Jonker steht jetzt unter Erfolgsdruck.
MÜNCHEN dpa | Schon kurz nach der Entlassung von Louis van Gaal und der Verkündung von Andries Jonker als auserkorenem Bayern-Retter folgte die Generalabrechnung durch Präsident Uli Hoeneß. "Wir haben uns Probleme gemacht, die völlig unnötig waren und den ganzen Verein total durcheinandergebracht haben. Das sollte sich Louis van Gaal mal überlegen. Er hat unseren Rat nicht angenommen und Samstag war das Fass übergelaufen", machte der Präsident seinem Ärger mit verkniffener Miene Luft.
Eine Basis gab es schon lange nicht mehr zwischen den beiden Fußball-Alpha-Tieren, das wurde durch Hoeneß-Aussagen vom Sonntag wieder mehr als deutlich. "Erfolg ist etwas, aber Spaß machen ist das andere. Und der Spaß hat in diesem Verein seit langem gefehlt. Nicht nur bei uns, sondern auch bei den Spielern. Und dass die Spieler hinter dem Trainer standen, das ist ein Märchen", sagte der Präsident.
Auch Franz Beckenbauer befand in seiner Bild-Kolumne, die Trennung sei "nun nicht mehr zu vermeiden" gewesen. Der deutsche Rekordmeister hätte van Gaal nach Meinung Beckenbauers sogar schon früher entlassen sollen. "Meistens funktionieren halbe Sachen nicht. Wenn man zu dem Entschluss kommt, sich zu trennen, sollte man es sofort vollziehen", schrieb der 65-Jährige.
Jetzt ist das "Feierbiest" gefeuert – und Cheftrainer-Nobody Jonker soll wie einst Jupp Heynckes den FC Bayern vor der Europa League bewahren. Fünf Spiele bleiben dem beförderten Assistenten des am Wochenende beurlaubten van Gaal, um den Münchner Fußball-Rekordmeister noch in die Champions League zu führen und und das "Horrorszenario" vom Verlierer-Cup zu verhindern.
"Ich erwarte eine Explosion. Ich erwarte, dass die Zwangsjacke, in der die Spieler seit Monaten stecken, abgestreift wird", sagte Hoeneß mit ernster Miene am Sonntag an der Säbener Straße. Jonker wird sich und seine Arbeit an diesem Montag in einer Pressekonferenz vorstellen.
"Don Jupp"
Wie vor zwei Jahren, als Heynckes in ebenfalls fünf Spielen mit 13 von 15 Punkten nach dem Ende des Experiments mit Jürgen Klinsmann die Königsklasse noch erreichte, soll Jonker nun die Münchner im titellosen Jahr von Rang vier mindestens auf den von Hannover belegten Platz drei führen.
Pikanterweise wird Heynckes, der in der neuen Saison das Trainer-Kommando beim FC Bayern übernimmt, am kommenden Sonntag mit Bayer Leverkusen der erste Gegner sein. Am Sonntag wehrte der noch Bayer-Coach alle Fragen zum Münchner Trainer-Theater ab.
Eine fundierte Meinung könne man sich nur erlauben, wenn man das Innere des Vereins kenne, sagte Heynckes. "Alles, was geredet wird und zum Teil gequatscht wird, ist Kaffeesatz. Ich bin hier bei Bayer Leverkusen. Alles andere kriege ich mit und registriere ich, will es aber nicht kommentieren."
Bis zum Eintreffen von "Don Jupp" soll der bisherige van Gaal-Assistent Jonker dem beim 1:1 in Nürnberg blutleer wirkenden Rekordmeister-Team wieder Freude am Kick vermitteln. Hermann Gerland steht ihm als Assistent zur Seite.
"Der Vorstand musste reagieren", sagte Hoeneß, der dem Team die "pure Angst" angesehen hatte. Bei Arjen Robben, der sich unterschwellig auch über die Team-Leistung beklagte, entlud sich der aufgestaute Frust nach dem Schlusspfiff am Samstag in einer Schiedsrichterbeleidigung und seiner ersten Roten Karte in der Bundesliga. Er fehlt zum Start der Jonker'schen Rettungsmission.
"Relativ kurze Geschichte"
Gemeinsam mit den Vorständen Karl-Heinz Rummenigge und Karl Hopfner sowie Sportdirektor Christian Nerlinger fällte Hoeneß die Entscheidung, die Notbremse zu ziehen. Noch am Abend nach dem durch einen Patzer von Keeper Thomas Kraft leichtfertig verschenkten Sieg beim "Club" wurde van Gaal das Ende an der Säbener Straße in einer "relativ kurzen Geschichte" mitgeteilt. Ohne "emotionale Regung", so Rummenigge, habe der 59-Jährige das Ende seiner seit dem 1. Juli 2009 dauernden Bayern-Zeit hingenommen.
Die vor einem Monat krampfhaft gebastelte und sicher auch mangels Alternativen gewählte Lösung, dass van Gaal statt bis 2012 wenigstens bis zum Ende dieser Saison seine Arbeit fortführen durfte, entpuppte sich letztlich nur als fauler Kompromiss. Und erfolglos war der Versuch sowieso.
Am Sonntag leitete der 48-jährige Jonker zusammen mit Gerland vor mehreren hundert Zuschauern das Auslaufen der Mannschaft, aus deren Kreise sich einige Akteure über den selbstherrlichen van Gaal beklagt haben sollen. Und in den Bossen gärte es seit langem. "Seit Wochen gab es eine Unzufriedenheit, die in uns wächst", betonte Rummenigge und machte eine "Blockade" im Team aus. Die soll Jonker nun lösen.
"Wir wollten einen Mann haben, der die Verhältnisse kennt, der weiß, was zu ändern ist", sagte der Vorstandschef. Im neuen Jahr könnte Jonker als Amateurtrainer dem Verein erhalten bleiben, Gerland dann als Assistent von Heynckes bei den Profis bleiben.
Dass ausgerechnet der von van Gaal ohne Not und überraschend im Winter zur Nummer 1 beförderte Thomas Kraft mit seinem Fehler das Ende der Trainer-Amtszeit beschleunigte, bezeichnete Rummenigge als "Ironie des Schicksals". Im schleichenden Abnutzungsprozess van Gaals war das Torhüter-Thema einer von vielen Reibungspunkten.
"Mit der Entscheidung, Jörg Butt aus dem Tor zu nehmen, ging die Scheiße los", sagte Hoeneß über die Torwart-Angelegenheit. Statt wie erhofft versöhnlich musste sich van Gaal, der im Vorjahr das Double gewann und das Champions-League-Finale erreichte, vorzeitig durch den Hinterausgang verdrücken.
Für Jonker, der schon in Barcelona Co-Trainer von van Gaal war, sei die Amtsübernahme "natürlich ein großer Schritt", sagte Rummenigge. "Aber er musste nicht lange überlegen. Er ist 100-prozentig davon überzeugt, dass wir alle gemeinsam die Ziele erreichen werden." Und nicht wie in der Saison 2007/08 wieder im "Verlier-Cup" Europas spielen müssen. "Wir vertrauen Andries Jonker und glauben, dass er die große Aufgabe meistern wird", sagte Nerlinger.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Israel und Hisbollah
Waffenruhe tritt in Kraft