: Träume vom weiblichen Tresen
■ Gesichter der Großstadt: Stefan Lange ist Kellner im Cafe Rix / Ein dienstbarer Geist, der den persönlichen Kontakt mit Gästen sucht / Der Tresen als Mutterbrust?
Gemischtes Publikum im Neuköllner Café Rix. Fast alle Tische sind besetzt. Ebenso die Barhocker an der Theke. Durch die offene Terassentür wühlen neue Gäste herein. Sie finden Platz, brauchen aber noch einen Stuhl. Andere wollen bestellen oder bezahlen. Sie alle schauen suchend in dem großen Raum herum – eine endlose Kette von Startsignalen für den Kellner Stefan Lange. Aber er hat alles im Blick. Mit wiegenden und zielgerichteten Schritten steuert er flott durch den Saal, begrüßt Neuankömmlinge, räumt ab, wechselt Aschenbecher aus, nickt mal in diese, mal in jene Richtung, während er hinter dem Tresen mit einer Hand Gläser vollschenkt und mit der anderen nach den Bierdeckeln greift. Das Erstaunliche: er lächelt. Bis zu acht Stunden am Abend, drei- oder viermal in der Woche.
Sichtbar macht ihm die Arbeit Spaß. Wenn er sich mit einem vollbeladenen Tablett an einen Tisch manövriert hat, sucht er erst den Blick der Gäste, bevor er die Getränke oder das Essen hinstellt. Beim Zusammenrechnen geht er in die Hocke, wechselt dann Abschiedsworte und wischt den Tisch erst ab, wenn er wirklich leer ist – eher ein Gastgeber als eine Bedienung. Stefan Langes schwungvolle Herzlichkeit ist nicht antrainiert, denn gelernt hat er diesen Beruf nicht. 28 Jahre ist er alt, gebürtiger Schwabe. Er hatte eine Ausbildung als Chemischer Assistent und ein abgebrochenes Politikstudium hinter sich, als er vor einem Jahr im Rix begann.
„Mich interessieren die Menschen“, sagt er. „Vorher habe ich sie mir immer vor der Trese angesehen, und als das auf die Dauer zu teuer wurde, habe ich eben die Seite gewechselt.“ „Die Trese“ sagt er und ist bei der Nachfrage irritiert: „Für mich ist das irgendwie – weiblich, ein Ort, an dem man Essen und Trinken bekommt.“ Der Tresen als Mutterbrust, die Kneipe als gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigungsanstalt. Dazu gehören unbedingt auch die sozialen Kontakte. „Seit ich eine gewisse Routine entwickelt habe, nehme ich mir Zeit, auf die Leute einzugehen. Es kommt zu kurzen Gesprächen, Blickkontakten, einem Lächeln.“ Das ist dem Kellner ebensowichtig wie den Gästen. „Wenn ich an einen Tisch komme, dann will ich auch präsent sein, nicht nur ein dienstbarer Geist.“ Die Resonanz bleibt nicht aus. Zufallsgäste werden Stammgäste, fragen nach Stefan, wenn er mal nicht da ist. Ein häufig wiederkehrendes Pärchen hat ihn sogar gebeten, ihr Trauzeuge zu werden.
Mit dem Rix ist Stefan sehr zufrieden. Die Humanisten (ehemals Freidenker-Verband) haben die Räumlichkeiten im Neuköllner Saalbau gepachtet. Die Sozialleistungen sind befriedigend, die Arbeitsatmosphäre ist angenehm locker und motivierend. „Ich bekomme durch die Arbeit gute Laune“, sagt Stefan Lange, und es klingt überzeugend. Ein Traumberuf? „Vielleicht ist es das, was ich wirklich kann. Im Politikstudium war mir alles zu abstrakt. Im kleinen Kreis, hier im Café, da entwickeln die Leute ein politisches Verhalten, im Umgang miteinander. Und ich kann dazu beitragen, das positiv zu beeinflussen. Ich bin auch neugierig. Schön sind die Irritationen, wenn das Klischee mal nicht stimmt und beispielsweise Frauen harte Spirituosen bestellen oder so.“ Gibt es auch negative Erfahrungen, Frust, Überdruß? „Kaum. Höchstens, wenn sich die Menschen zu wenig Zeit nehmen. Manche kommen hierher, bestellen, und dann muß alles im nächsten Augenblick auch da sein. Natürlich bemühe ich mich um Schnelligkeit und will, daß alle zufrieden sind, aber um ein Getränk nur herunterzustürzen und dann wieder zu gehen, dazu muß man nicht in so ein Lokal wie das Rix kommen. Schlimm ist es auch, wenn sich jemand so danebenbenimmt, daß ich gezwungen bin, ihn rauszuwerfen, weil er die anderen stört. Denn eigentlich bin ich ja froh, wenn jemand kommt.“ Petra Kohse
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