Tour de France: "Heuchlerische Hysterie"
Warum Mike Kluge, einer der Kommentatoren der Tour de France bei Sat.1, dort nicht über Doping sprechen will.
taz: Herr Kluge, seit vorgestern sind Sie Tour-de-France-Kommentator. Wie sehen Sie Ihre Aufgabe?
Mike Kluge: Ich freue mich über die Gelegenheit, den Menschen die Schönheit dieses Sports zu vermitteln. Ich war ja selbst Radprofi, ich glaube, ich kann den Leuten hervorragend näher bringen, was die Fahrer während so einer Rundfahrt durchmachen.
Das Thema Doping wird Sie nicht beschäftigen?
Nein, das wird doch sowieso überall breitgetreten. Ich denke, man vergisst im Augenblick zu leicht, dass da auch noch Sport getrieben wird.
Sie schätzen die Tour also noch als Sportereignis?
In diesem Sport ist man nur vorne dabei, wenn man sehr hart gearbeitet hat. Das kann durch Doping nicht ersetzt werden. Ich finde es faszinierend, wie Sportler 20 Tage lang diese maximale Belastung aushalten.
Sie finden es überzogen von ARD und ZDF, abzuschalten?
Völlig überzogen. Man muss doch davon ausgehen, dass es in jedem Sport Leute gibt, die sich Vorteile verschaffen. Und ich denke, dass der Radsport auf einem guten Weg ist, das Problem anzupacken. Man kann das ja auch nicht mit einer Ballsportart vergleichen, die Belastungen sind ganz anders. Abzuschalten ist auf jeden Fall das falsche Zeichen. Es wird im Moment viel kaputtgemacht. Die Erwägungen etwa, die Sportförderung völlig einzustellen, ist ganz falsch. Es geht ja auch um den Nachwuchs.
Die öffentlich-rechtlichen Sender hatten sich vor der Tour von Marcel Wüst getrennt, weil er als Exprofi zu wenig Distanz habe. Sie sind auch Exprofi. Haben Sie Distanz?
Marcel Wüst hat einen hervorragenden Job gemacht. Seine Innenansichten waren eine Bereicherung. Ich war aber nie so dicht dran wie Marcel. Ich war Cross-Fahrer und bin auf der Straße nur kleinere Rundfahrten als Amateur gefahren. Ich war nie bei der Tour de France.
Gibt es in Deutschland derzeit eine zu große Hysterie, wenn es um Radsport und um Doping geht?
Ja, und diese Hysterie ist heuchlerisch. Wenn in Zeitungen ganzseitige Fotos von Patrik Sinkewitz erscheinen, muss ich mich schon wundern. Man fragt sich, was wäre, wenn er jemanden umgebracht hätte? Würde man dann Ausklappseiten mit seinem Foto machen? Man darf den Sport nicht vernichten. Er erfüllt eben auch soziale Funktionen. Das gerät im Moment in Vergessenheit.
INTERVIEW: SEBASTIAN MOLL
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid