piwik no script img

■ Tour d'EuropeFernsehen in der Nische

Die Medien, die vierte Macht im Staat. Was liegt da näher, als sie zu erobern, sie selbstbestimmt zu gestalten, um so an gesellschaftlichem Einfluß zu gewinnen. Das war ein Ziel, das sich die Linke seit dem Aufbegehren 1968 steckte. Die Umsetzung begann mit Gedrucktem, dann kamen die freien Radios und zuletzt das Fernsehen. Den Anfang machten Ende der siebziger Jahre die Beneluxländer, die die Erfahrungen aus den USA nutzten. Eine fast hundertprozentige Verkabelung und der Versuch der Netzbetreiber, sich mittels offener Programme einen demokratischen Anstrich zu geben, verschaffte alternativen Gruppen den Zugang zu den Bildschirmen.

Deutschland zog mit seinen Offenen Kanälen nach. In Südeuropa entwickelte sich das Lokalfernsehen mittels normaler Sendetechnik per Antenne und sicherte sich so, trotz niedriger Verkabelungsrate, den Zugang zu einem breiten Publikum. Bekanntestes Beispiel ist Italien mit seinen über 700 Lokalsendern. In Spanien, einem medienpolitischen Spätzünder, gibt es heute 550 Sender.

Was einst als vielversprechende Alternativbewegung anfing, hat oft in den Armen der Großen des Gewerbes geendet. In den USA sind viele der lokalen Sender fest im Besitz der großen staatlichen Ketten. Eine Entwicklung, die sich in Europa besonders gut in Italien beobachten läßt. Hier kontrolliert Silvio Berlusconis Finninvest den Markt. Die kleinen verkommen so zu lokalpolitischen Anhängseln der Medienriesen. Und stehen somit, was Anpassung und Verflachung der Inhalte angeht, den Großen oft in nichts mehr nach.

Dennoch, es gibt sie noch. Der Offene Kanal in Deutschland etwa, mit 30 der Allgemeinheit zugänglichen Sendern; sein niederländischer Bruder Open Kanaal; oder das TV de Pays de Gent in Belgien. Viele alternative Sender haben sich eine Nische gesucht. So sendet der Offene Kanal Berlin (OKB) die Hälfte der Zeit in den Sprachen der in Deutschland lebenden Immigranten. Der belgische Canal Emploi gibt seit 1977 Tips zum Arbeitsmarkt; Stellenanzeigen, juristische Tips und Aktuelles aus der Region ziehen täglich 50.000 französischsprachige Belgier an. Vergleichbare Projekte existieren in England. Dort versuchen die im ITV zusammengefaßten Sender ebenfalls gezielt Arbeitslose und Minderheiten anzusprechen.

Mittlerweile haben sich viele der lokalen Sender gar international zusammengeschlossen, um dem Druck der Großen standzuhalten. So bezieht OKB Programme von Paper Tiger TV in New York, die belgischen Sender koproduzieren mittels Videotrame, eines eigens gegründeten Dachverbandes. Das Ergebnis: die Vernetzung von unten, bei der die billige digitale Leitung den teuren Satelliten ersetzt. Francisco Pérez

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen