: Toter bei Streiks in Südkorea
■ Erstmals Arbeiter bei Demonstrationen getötet / Bayer–Werk bei Seoul bestreikt / Studenten und Arbeiter demonstrieren gemeinsam / Streiks in Seoul
Seoul (afp/ap/wps) - Erstmals ist am Samstag in Südkorea ein Arbeiter im Zusammenhang mit den seit Wochen andauernden Streiks für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und unabhängige Gewerkschaften getötet worden. Der 21jährige Werftarbeiter Lee Suk–Kyu wurde bei einer Demonstration auf der riesi gen Daewoo–Werft auf der Insel Koje von einer Tränengasgranate getroffen und starb wenig später im Firmenkrankenhaus. Am Sonntag riegelten daraufhin mehrere tausend seiner Kollegen den Zugang zu der Klinik mit einer Stahlplatte ab und liessen nur Ärzte und Patienten passieren. Die Arbeiter fürchteten, daß die Polizei - wie in ähnlichen Fällen mehrfach geschehen - die Leiche stehlen könnte, um die Todesursache zu vertuschen. Die von einem Streik lahmgelegten Daewoo–Werften, mit 15.000 Beschäftigten die zweitgrößten Koreas, waren von der Geschäftsleitung am Freitag mit der Begründung geschlossen worden, die Streikenden hätten ein in mehreren Gesprächsrunden ausgehandeltes Abkommen verworfen. Am Sonntag trieb die Polizei mit Tränengas eine Demonstration von Arbeitern und Studenten in Seoul auseinander. Aus Protest versammelten sich am Samstag mehrere tausend Daewoo–Arbeiter vor einem Hotel, in dem sie die Geschäftsleitung vermuteten. Bei den folgenden heftigen Straßenschlachten mit der Polizei wurde Lee getötet. Über 20 weitere Arbeiter wurden verletzt, etwa 100 gelang es, an den Polizeisperren vorbei das Hotel zu stürmen. Fortsetzung Seite 6 Das Gebäude wurde Raum für Raum durchsucht, doch die Manager hatten offenbar bereits das Weite gesucht. Lediglich ein japanischer Techniker sprang aus Angst vor Racheakten aus dem Fenster des dritten Stocks. Unterdessen weiteten sich auch am Wochenende die Arbeitskämfe in anderen Landesteilen weiter aus. Beim südkoreanischen Tochterunternehmen des deutschen Chemiekonzerns Bayer sind am Freitag rund 250 Beschäftigte in den Streik getreten, um eine 20prozentige Lohnerhöhung zu erreichen. Daneben forderten sie den Abzug von dreien der vier dort stationierten hochbezahlten deutschen Manager mit der Begründung, „einer sei genug“. Während der großangekündigte Busfahrerstreik in der Innenstadt von Seoul am Samstag nur wenig befolgt wurde, legten das Bodenpersonal des Internationalen Flughafens und die Beschäftigten mehrerer großer Hotels die Arbeit vollständig nieder. Nahezu alle internationalen Flüge wurden verspätet abgefertigt. Politische Beobachter vermuten, das das erste Todesopfer des seit drei Wochen immer mehr eskalierenden Arbeitskampfes der bislang unkoordinierten Streikbewegung ein einigendes Symbol geben könnte. Die Regierung befürchtet außerdem, daß es jetzt zu einer engeren Zusammenarbeit zwischen Arbeitern und Studentenaktivisten kommen könnte. Diese war bislang von der Mehrheit der Arbeiter trotz regen Interesses der Studenten eher abgelehnt worden. Das große außerparlamentarische Bündnis NCDC bildete zusammen mit Arbeitervertretern ein Beerdigungskomitee und rief für Mittwoch zu landesweiten Trauerfeiern auf. Bereits am Samstag war es vor der Yonsei–Universität zu Zusammenstößen zwischen Studenten und Polizei gekommen, nachdem erstere eine Trauerfeier für einen früher von der Polizei getöteten Studenten abgehalten hatten. Daneben wird der Tod des Arbeiters bei Daewoo mit Sicherheit die Diskussion über die Auswirkungen des in Südkorea eingesetzten Reizgases weiter anheizen. Entgegen offiziellen Anweisungen pflegt die Polizei die Gaskanister bei Demonstrationen direkt in die Menge zu schießen. Der jetzt getötete Arbeiter starb durch das Eindringen von Bombensplittern in seine Lunge.
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