Totenruhe und Außenpolitik

■ Die schöne Aussicht am Gardasee, die Knochen eines SS-Mörders oder: Skizze einer Kampagne

„Es ist ein Jammer, daß die Toten die Aussicht nicht genießen können. Denn für den deutschen Soldatenfriedhof in der Gemeinde Costermano hat man sich ein schönes Fleckchen Erde ausgesucht.“ Verwundert liest man, wie in der 'FAZ‘ vom Mittwoch gewissermaßen mit unterdrücktem Schluchzen das Verlustgefühl der Überreste deutscher Soldaten nachempfunden wird. Warum drei lange Spalten fragt sich der Leser und erfährt, daß da am Gardasee Busse aus Itzehoe und der Oberpfalz ankommen, daß eine „Kaffeebar Stühle bereithält, bevor der schwere Gang (der Trauernden) angetreten wird“. „Der Vater“, „der Onkel“, „der Bruder“, 21.920 deutsche Soldatengräber, „mustergültig gepflegt“ und eben „die Aussicht“. Aber, der Leser schreckt auf: „Die Ruhe täuscht.“ Schon die Überschrift verheißt Schlimmes: „Die gestörte Ruhe der Toten“. Warum? Nun wird weitschweifig erklärt, nachdem 1943 Italien in „klarer Voraussicht des Kriegsausganges die Front wechselte“, also Verrat übte und folgerichtig von den Deutschen besetzt wurde, von Deutschen auch „Böses“ geschah. Auch ein gewisser SS-Sturmbannführer Wirth gehörte zu jenen, „die Übles angestellt hatten“. Er liegt neben zwei anderen, die auch „Übles“ taten, auf diesem Soldatenfriedhof mit der schönen Aussicht. Aber das „störte lange Zeit niemanden“.

Vorgeschichte: Ein Vernichtungslager in Triest

Jetzt, in der Mitte des langen Artikels, fragt man sich, wer ist denn der Störer? Ein Herr Steinkühler erfährt man nun, deutscher Generalkonsul in Mailand. Er weigerte sich, im Oktober 1988 an der Feier des Volkstrauertages in Costermano teilzunehmen, wegen „Wirths Knochen“. Diese seine „Umtriebigkeit“ zwang praktisch Gesamt-Italien „zu reagieren“: „Italienische Stellen“ lassen wissen, daß niemand mehr, „kein Präfekt“, „kein Bürgermeister“, „kein Offizier“, „kein Politiker“ an dieser Feier teilnehmen werden. „Abgeordnete“, der „Außenminister Andreotti“ und der „Verteidigungsminister Zanone“, von der gesamten italienischen Presse ganz zu schweigen, „nahmen Stellung“. Steinkühler, gewissermaßen der mächtigste Mann Italiens, der Staat und Gesellschaft eint? Jedenfalls ist wegen ihn die „Versöhnung zwischen Völkern“, die offenbar von der Feier des Volkstrauertages abhängt, geplatzt. Das sind die wesentlichen Informationen, es folgen Nekrophilie und technische Details aus der Totengräberbranche.

Der Verfasser dieses verschwiemelten Hetzartikels, Heinz -Joachim Fischer, römischer Korrespondent der 'FAZ‘, weiß natürlich weitaus mehr, als seine vagen Umschreibungen vermuten lassen. Er ist schließlich Akteur in dieser Affäre. Die Vorgeschichte: Anfang 1988 erschien, herausgegeben von Adolfo Scalpelli eine zweibändige Dokumentation und Aufsatzsammlung über einen Strafprozeß aus dem Jahre 1976 in Triest. Es ging um die noch lebenden Verantwortlichen des in der BRD kaum bekannten Vernichtungslagers „Risiera di San Sabba“ in jener Stadt. 1943 hatte sich das „Einsatzkommando Reinhard“, die ausführende Organisation der Endlösung den Gau „Adriatisches Küstenland“ aufgeteilt: Reichleitner in Fiume (jetzt Rijeka), Schwarz in Udine und Wirth in Triest. Alle drei SS-Führer liegen in Costermano begraben.

Wirth unterstand San Sabba. Die Zahl der Opfer, die durch jenes Krematorium ging, schwankt zwischen drei- und fünftausend Menschen, Juden aus Südosteuropa, slowenische und italienische Widerstandskämpfer. Doch Wirth hat noch mehr „Übles angestellt“ - seine Karriere in Kürze: Tötungsanstalt Brandenburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim im Rahmen der „Aktion T4„; der Vorschlag, Gaskammern einzusetzen für die „Endlösung“ geht auf ihn zurück; Einrichtung des Vernichtungslagers Belzec im „Einsatzkommando Reinhard„; Inspekteur von Belzec, Sobibor und Treblinka. Ähnliche Karrieren machten Reichleitner und Schwarz.

Der SS-Mann Wirth

Steinkühler kannte die Veröffentlichung von Scalpelli. Er sah sich außerstande, angesichts der Gräber dieser Massenmörder den Volkstrauertag feierlich zu begehen. Er setzte das Auswärtige Amt rechtzeitig von seiner Haltung in Kenntnis. Aber sein Dienstherr bestand auf Teilnahme an der Feier mit Verweis auf die Haltung des „Volksbundes deutscher Kriebsgräberfürsorge“ (VdK), der Nachfolgeorganisation der HIAG, Interessengemeinschaft der Waffen-SS. Dem Vdk zufolge dürfe bei der Trauer „kein Unterschied der Waffengattung gemacht“ werden, das heißt Ehrung auch für SS -Angehörige. „Präzedenzfälle“ seien zu vermeiden. Der Generalkonsul verweigerte sich diesem Ansinnen. Seine Reaktion provozierte gewiß Aufmerksamkeit, aber auch sofort die Solidarität italienischer Politiker und vor allem der italienischen Presse, nicht nur der 'Unita‘, sondern beispielsweise auch der 'La Stampa‘ - im Besitz von Agnelli. Alsbald setzte eine Kampagne ein, initiiert durch den VdK. Es gab Serien von gehässigen, rechtsradikalen Briefen ins Generalkonsulat.

Ende des Jahres 1988 begannen die 'FAZ‘ und die 'Neue Bildpost‘ gemeinsam, den „Fall Steinkühler“ zu beschwören. Die 'Neue Bildpost‘: „Entnazifizierung der Gräber„; die 'FAZ‘ aktivierte den genannten Herrn Fischer, der bei Steinkühler seinerzeit einen „teutonischen Eigensinn“ (jetzt „Umtriebigkeit“) diagnostizierte, mit dem dieser „bis zum Letzten sein Gewissen ins Spiel“ bringe. Beide Zeitungen gleichlautend: Steinkühler störe die Totenruhe und das deutsch-italienische Verhältnis. Nun konnte das Auswärtige Amt reagieren und schickte - ungewöhnlich genug - Anfang Januar einen Inspektor nach Mailand (taz, 6.1. 89). Der forderte Steinkühler ultimativ auf, seine Haltung zu korrigieren. Der Konsul weigerte sich; die Inspektion blieb ergebnislos. Inzwischen hatten sich Abgeordnete geäußert, der Bürgermeister von Verona distanzierte sich von der Feier, die Spitzenvertreter der italienischen Industrie gaben zu verstehen, daß sie auf seiten des Generalkonsuls ständen. Im Februar unternahm der Außenminister Andreotti eine Demarche in Bonn, und der Verteidigungsminister Zanone verweigerte die Abordnung von Militär nach Costermano, solange die drei Verbrecher dort ruhen. Das Auswärtige Amt konnte Steinkühler nicht mehr offen angreifen, ohne nun wirklich das deutsch-italienische Verhältnis ernsthaft zu gefährden.

Design einer Kampagne

Warum nun dieser Artikel in der 'FAZ‘? Nächstliegendes: seit dem Januar dieses Jahres läuft in der 'FAZ‘ eine Anzeigenserie des „Volksbundes deutsche Kriegsgräberfürsorge“, die der Zeitung einen grob geschätzten Erlös in der Höhe eines sechsstelligen Betrages gebracht hat. Ein Dankesartikel also? Die Mittel des VdK stammen stammen allerdings wiederum zum nicht geringen Teil aus dem Haushalt des Außenministeriums, das mithin diese Öffentlichkeitsarbeit offenbar billigt. Vor zwei Wochen entdeckte Bundesminister Zimmermann, daß auch ein Bruder in Costermano begraben liegt, reiste dorthin, zum Soldatenfriedhof der schönen Aussicht und informierte die italienische Regierung. Zur selben Zeit erklärte der frisch ernannte Propagandaminister Klein, scheinbar ohne jeden Anlaß, die „Waffen-SS“ gehöre zur „kämpfenden Truppe“. Ist es Paranoia, wenn man großräumige Manöver verschworener Kameraden deutscher Kriegsführung vermutet, Manöver, aus dem italienisch-deutschen Verhältnis wieder eine deutsch -italienische Versöhnung zu machen?

Wie auch immer: Nach dem wüsten Auftritt des Außenamtsinspektors Anfang des Jahres in Mailand schwieg zwar das Außenamt, aber es schweigt beredt: Denn Steinkühler ging für einen deutschen Diplomaten noch einen Schritt weiter, er äußerte sich zur Sache. In einem Artikel in der 'Frankfurter Rundschau‘ (13.3.) wies er daraufhin, daß beispielsweise der Mailänder Konsul Dr. Meissner an einer „Arbeitstagung der Judenreferenten der deutschen Missionen“, 1944 in Krummhübel, teilnahm, auf der die möglichst geräuschslose Deportation von Juden aus besetzten Ländern abgesprochen wurde. Meissner erhielt 1986 das Große Bundesverdienstkreuz. Weiterhin erwähnte er Wirths Fahrer Geng, der an der Karriere seines Vorgesetzten beteiligt war. Geng soll laut Scalpelli „Leiter des Krematoriums der Risiera di San Sabba“ gewesen sein. Nach 1945 wurde Geng ausgerechnet Angestellter des Konsulats in Mailand und erst auf italienischen Druck hin nach Nancy versetzt. Man sieht, es geht nicht um Totenruhe, sondern um die Ruhe der Lebenden, vor allem auch im Auswärtigen Amt, das offenbar bereit ist, für die Interessen der Waffen-SS einen diplomatischen Eklat zu riskieren. „Wirths Knochen“ sind nicht nur am Gardasee, sondern auch in der Geschichte des Auswärtigen Dienstes begraben.

Post scriptum

Nachzutragen wäre: Warum muß eine immerhin auch liberal -konservative Zeitung wie die 'Frankfurter Allgemeine‘ einen Autor fördern, der bei diesem Thema offenbar nur eine Quelle studiert hat. Fischer erwähnt die Hypothese, daß der SS-Mann Wirth nicht von Partisanen, sondern von seinen eigenen Leuten umgebracht worden sei. Dafür gibt es keine Beweise, nur die Behauptung ineinem Buch - von einem Neofaschisten Pierrarrigo Carnier: Lo sterminio mancato (Die nichtgeschehene Vernichtung), 1982. In diesem Buch will Carnier nachweisen, daß es das Vernichtungslager in der „Risiera di San Sabba“ in Triest nie gegeben habe.