Tote und lebendige Faschisten in Rom: Alte Kameraden
Das bürgerliche Lager in Italien hat sich nie nach rechts abgegrenzt. Das zeigt nicht zuletzt der jüngste Aufmarsch gegen die neue Regierung in Rom.
Zur Demo aufgerufen hatten Giorgia Meloni, Vorsitzende der postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia, und Matteo Salvini, Chef der Lega. Sie genossen das Bad in der Menge, und sie störten sich kein bisschen daran, dass viele in jener Menge gerne auch den Arm zum Römischen Gruß hoben, um gegen die Diktatur, für die Demokratie zu demonstrieren.
Denn ganz offiziell und völlig unbehelligt hatten sich gleich zwei faschistische Organisationen, Forza Nuova (FN) und Casa Pound Italia (CPI), unter die Wutbürger gemischt, ganz offiziell gaben ihre Anführer Interviews gegen das „Brüsseler Joch“, unter das Italien jetzt falle. Meloni und Salvini hatten daran nichts auszusetzen, von Berührungsängsten, wie sie selbst die AfD wenigstens offiziell zeigt, keine Spur.
Warum auch? Salvinis Lega zeigte sich in den letzten Jahren immer wieder offen auch für Kontakte bis nach ganz rechts außen, von lokalen Wahlbündnissen bis hin zu einem ausgelassenen Abendessen zwischen Salvini und den nationalen Anführern der CPI im Jahr 2015.
Schade nur für FN und CPI, dass sie diesen schönen Publicity-Erfolg nicht richtig posten konnten. Ebenfalls am Montag nämlich, just während die Demo vor dem Parlament lief, schlossen Facebook und Instragram alle Accounts der beiden faschistischen Organisationen und ihrer Anführer, weil dort Hass gepredigt werde: Sie zeigten jene Berührungsängste, von denen ein Salvini völlig frei ist.
Die neue italienische Regierung hat die letzte Hürde genommen. Nach der Zustimmung der Abgeordnetenkammer vom Montag sprach am Dienstag auch der Senat dem Bündnis aus populistischer Fünf-Sterne-Bewegung und sozialdemokratischer PD das Vertrauen aus. Es gab 169 Ja-Stimmen bei 133 Gegenstimmen und 5 Enthaltungen. (dpa)
Solche Berührungsängste hatten wenigstens bis 1994, bis zu Silvio Berlusconis Einstieg in die Politik, offiziell den parlamentarischen Betrieb Italiens geprägt. Von den Christdemokraten bis zur Kommunistischen Partei gab es den „Verfassungsbogen“ – draußen blieben die neofaschistischen Schmuddelkinder vom neofaschistischen MSI, deren Nachfahren heute unbehelligt bei den Demonstrationen der Lega erscheinen können.
Doch dass auch damals die klare Abschottung gegen rechts mehr Schein als Sein war – dafür steht der Name eines Mannes, der am Dienstag im Alter von 83 Jahren in Rom starb: Stefano Delle Chiaie.
Im parlamentarischen Betrieb mochten die Faschisten vom MSI isoliert sein – hinter den Kulissen aber kooperierten staatliche Dienste intensiv mit ihnen, ob bei der Vorbereitung von Militärputschen wie in den Jahren 1964 und 1970 (die jeweils in letzter Minute abgeblasen wurden) oder bei einem der dunkelsten Kapitel der italienischen Nachkriegsgeschichte: der „Strategie der Spannung“.
Das Attentat von Bologna
Mit ihr wird die Blutspur bezeichnet, die faschistische Attentäter in jenen Jahren durch Italien zogen, als dort die Linke stark war, beginnend bei dem Anschlag auf eine Mailänder Bank im Jahr 1969 (zwölf Tote), gipfelnd in der Bombe im Bahnhof von Bologna am 2. August 1980 (85 Tote) und endend 1984 mit einem Attentat auf einen Zug (16 Tote).
Die Geheimloge P2, zu der Spitzenmilitärs, Richter, Geheimdienstchefs gehörten, die mit dem Legen falscher Fährten befassten italienischen Geheimdienste, die geheime Truppe Gladio (die zum Nato-Netzwerk „Stay behind“ gehörte), und mit ihnen im Verein neofaschistische Terrorgruppen: Dies war der Mix derer, die die Strategie der Spannung ins Werk setzten.
Delle Chiaie zum Beispiel geriet schon 1969 nach dem Bombenanschlag von Mailand ins Visier der Justiz. Er setzte sich erst ins Franco-Spanien, dann nach Südamerika ab. Dort war er an der Seite Klaus Barbies, des SS-Schlächters von Lyon, der bolivianischen Militärdiktatur beim Aufbau einer paramilitärischen Gruppe zu Diensten.
Im Jahr 1987 wird er in Venezuela verhaftet und an Italien ausgeliefert; eine Beteiligung an den Anschlägen von Mailand oder Bologna allerdings kann ihm trotz belastender Zeugenaussagen nicht nachgewiesen werden. Bis zuletzt macht Delle Chiaie weiter, zuletzt als Chef der von ihm gegründeten Organisation Avanguardia Nazionale. Delle Chiaie traf sich übrigens an der Seite von Vertretern der Casa Pound im Jahr 2014 mit dem Lega-Spitzenpolitiker Mario Borghezio auf einer rechtsextremistischen Tagung in Rom. So schließt sich der Kreis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Haftbefehl gegen Netanjahu
Begründeter Verdacht für Kriegsverbrechen