Tote-Hosen-Sänger Campino über Rot-Grün: "Ich bin wohl eher konservativ"
Die Toten Hosen haben eine neue Platte. Ein Gespräch mit ihrem Sänger Campino über die wohltuende Frau Merkel, das Energielevel von Techno und neokonservativen Punkrock.
taz: Herr Frege, waren Sie überhaupt irgendwann einmal jung?
Campino (irritiert): Was ist das denn für eine seltsame Startfrage?
Es ist exakt die Eingangsfrage, mit der Sie selbst 1994 Ihr Interview für den Spiegel mit der damaligen Bundesministerin für Frauen und Jugend eröffnet haben, einer gewissen Angela Merkel.
Schade, dass ich jetzt nicht abrufen kann, was die damals darauf geantwortet hat. Das war bestimmt superschlau.
Sie antwortete, bei ihr war das "irgendwie anders", sie wäre eigentlich nie richtig jung gewesen und hätte ihre Altersgenossen beneidet.
Campino, 46, bürgerlich Andreas Frege, ist seit der Gründung 1982 Sänger der Toten Hosen, deren neues Album "In aller Stille" (JKP/ Warner) heute erscheint. Dafür hat Campino erstmals seit Jahren nicht mehr zusammen mit Funny van Dannen gearbeitet, sondern ist allein für die Texte verantwortlich. Die Folge ist eine für die Toten Hosen erstaunliche Humorlosigkeit, die erfolgreich mit dem schwerfälligen Hardrock korrespondiert, den die Ex-Punkband heute spielt. Bei einer ZDF-Wahl der einhundert größten Deutschen wählten die TV-Zuschauer Campino 2003 auf Platz 65, direkt vor Franz Josef Strauß. TOW
Ja, die Frau Merkel. Ich erinnere mich jedenfalls an meine Jugend.
Wie ist Ihr Verhältnis zur Frau Bundeskanzlerin heute?
Ich hab ja keins. So was muss ja immer von zwei Seiten ausgehen. Ich weiß nicht, ob das fair ist, zu sehr auf diesem alten Gespräch rumzureiten: Sie war damals sehr unerfahren und ich war schockiert, dass jemand mit so einem beschränkten Horizont eine Ministerposition innehaben kann. Aber meine Lebenserfahrung hat mir gezeigt, dass es ohnehin sehr viele Pfeifen gibt, die es sehr weit bringen. Und ich glaube, dass Frau Merkel sehr viel gelernt hat. Sie macht den Job besser, als ich gedacht hätte. Wohltuend ist auch, dass sie manchmal Dinge sagt, die nicht unbedingt auf Parteilinie sind. Das tut sie sicherlich, weil sie diese ostdeutsche Vorgeschichte hat.
Die Toten Hosen wurden 1982 gegründet, das gleiche Jahr, in dem Helmut Kohl Bundeskanzler wurde. Ist das ein gutes Gefühl, Kohl überlebt zu haben?
Den hätten wir gern schneller überlebt. Andererseits war es damals für uns auch leichter, politisch zu agieren, Stellung zu beziehen. Die Situation war schön schwarz-weiß angelegt. Man konnte von einer Alternative träumen und davon, dass alles sehr viel besser wird, wenn nur die Grünen mal mit drankommen. In der Praxis sah das dann auch nicht alles so cool aus.
Rot-Grün war eine Enttäuschung?
Es hat einen definitiv wieder auf den Boden gebracht. Aber Enttäuschung ist vielleicht ein bisschen viel, weil ich die realpolitischen Aspekte immer gesehen habe. Diese Partei konnte ja nur dann weiter am Ball bleiben, wenn sie Kompromisse macht. Aber ich halte die Karriere von Joschka Fischer immer noch für außerordentlich. Ich war immer glücklich, wenn ich erlebt habe, wie der Deutschland in der Welt repräsentiert hat. Ich finde, der hat das sehr gut gemacht, und er hat bislang einen sauberen Abgang hingelegt. Von Joschka Fischer war ich nie enttäuscht.
Was hat das Scheitern des rot-grünen Projektes bedeutet für eine Band wie die Toten Hosen, die ja weitgehend aus einem ähnlichen links-alternativen Milieu hervorging?
Rot-Grün war immer nur das kleinste Übel. Das war ja nicht die Erlösung. Letztendlich haben wir auch mit den Grünen von Anfang an so unsere Probleme gehabt. Generell würde ich die heute noch wählen, wo es nichts Besseres zu geben scheint, aber das bedeutet ja nicht, dass ich alles unterschreibe, was die da veranstalten.
Ist die Partei Die Linke für Sie eine Alternative?
Das ist vielleicht ein bisschen emotional, aber ich kann mich nicht für ein Brechmittel entscheiden. Und Lafontaine ist für mich ein Brechmittel.
Bleibt noch Grün-Schwarz als nächstes Projekt. Ist so eine Kombination wählbar für Campino oder wäre das ein Verrat an alten Idealen?
Ich halte es nicht mehr für unmöglich. Es ist ungut für eine politische Kultur, wenn Parteienkonstellationen aus Prinzip ausgeschlossen werden. Und wenn die Linien schon verschwimmen, wenn man schon die klaren Abgrenzungen aufgeben muss, dann soll das wenigstens den Vorteil haben, dass man die Möglichkeit hat, die besten Köpfe zu wählen - und die stecken nun mal in verschiedenen Parteien.
Die Toten Hosen haben sich immer auch als eine politische Band verstanden. War das früher einfacher als heute?
In den Achtzigerjahren war Musik sowieso sehr politisch. Es gab den Kampf gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf, es gab Solidaritätskonzerte gegen Rassismus, das hatte alles noch Aussagekraft. Insofern war es unter Kohl einfacher. Mit Schröder war die klare Front weg und seit dem Internet werden die politischen Diskussionen nun auch anders geführt. Musiker haben generell an Relevanz verloren, was politische Meinungsäußerung angeht.
Würden Sie sich hinstellen wie der Kollege Niedecken und öffentlich Werbung machen für den aktuellen Bundespräsidenten?
Uns und BAP haben schon immer Welten getrennt, auch wenn wir damals in den Achtzigern auf derselben Bühne in Wackersdorf standen. Die kamen aus Köln, wir aus Düsseldorf. Die hatten eher ein Hippie-Publikum, wir kamen aus der Hausbesetzerszene. Aber beide Bands hatten durchaus immer Verständnis füreinander. Auch heute halte ich Niedecken für integer, doch mit der Art der Bundespräsidentenauswahl in Deutschland komme ich prinzipiell nicht klar. Grundsätzlich habe ich aber nicht das Problem, mich abgrenzen zu müssen, nicht von Niedecken oder sonst wem. Das macht man, wenn man jung ist und unsicher ist. Ansonsten entscheiden die Leute selbst, wessen CDs sie kaufen und auf welche Konzerte sie gehen.
Also ohne Abgrenzung: Was sind die Toten Hosen heute?
Wir sind eine Rockband, wo es noch kracht. Ich sehe uns in einer Tradition mit den Ramones, AC/DC oder vielleicht auch Status Quo. Vielleicht bedeutet das auch, konservativ zu sein in dem, was man macht.
Die Toten Hosen sind konservativ?
Das ist das Witzige: Das, was Ende der Siebziger mal Avantgarde war, ist heute konservativ.
Kann es das geben: einen neokonservativen Punkrocker?
Wenn ich mir anschaue, wie heute in den Jugendkulturen mit Sponsoren und Werbung umgegangen wird: Das wäre für meine Generation nicht denkbar, wie die sich da einkaufen, wie die die Bewegung übernehmen und die Leute auch noch stolz ihre beschissenen Marken-T-Shirts in die Kamera halten. Da bin ich konservativ. Für so etwas hätte man uns früher zu Recht am Laternenpfahl aufgehängt. Auch was meine Wertvorstellungen von Freundschaft oder Solidarität angeht, bin ich wohl eher konservativ.
Hat sich die Welt verändert oder die Toten Hosen?
Ich fand schon als Fünfjähriger das gut, was geballert hat. Da wurde ich jeden Abend zu "Hang on Sloopy" von den McCoys in Bett gebracht. Dieses saulaute Schlagzeug, dieser hysterische Gesang - das fand ich großartig. Dann kam Deep Purple und dann auch schon Punkrock - da war ich 13 Jahre alt. Der Aufbau der Lieder, Solos rausschmeißen, das war damals Avantgarde. Ich finde dieses Zeugs immer noch gut, aber heutzutage ist das im Musikverständnis leider konservativ. Natürlich gibt es viel aufregendere, modernere Sachen, da komm ich aber nicht so gut hinterher. Ich mag meine Wire-Platten immer noch. Das war damals vorneweg und heute ist es hintenan. Mir ist es egal. Da habe ich mich nicht geändert.
Campino ist ganz der Alte geblieben?
Im Musikgeschmack schon. Aber ich hoffe doch, nicht in allem. Was wäre man für ein Volltrottel, wenn man sich nicht ändern würde. 27 Jahre Tote Hosen, da ist viel passiert. Ist doch unvorstellbar heutzutage, dass der BGS zu uns in den Probenraum kam, um unsere Texte auszuwerten, als wären wir Staatsfeinde. In seinen besten Momenten war Punkrock eine Irritation für die Gesellschaft. Aber das ist lange vorbei: Wir sind Teil des Establishments, jeder Bürgermeister begrüßt uns und hält uns sein goldenes Buch unter die Nase, damit wir da unterschreiben. Das ist nun mal die Realität. Und würde ich die auszublenden versuchen, würde ich nicht nur die da draußen bescheißen, sondern mich auch, und zwar am allermeisten.
Womit wir wieder bei der ewigen Frage sind: Wie kann man als Rocker in Würde alt werden?
Das ist keine schlimme Frage. Wenn man wirklich in Not ist, sollte man sich die guten Beispiele anschauen, die gibt es doch reichlich. Nick Cave stellt diese Frage niemand, Johnny Cash hatte seine größten Momente am Schluss seines Lebens, und wenn ich nicht hoffen würde, dass unser bestes Lied noch gar nicht geschrieben ist, dann würde ich hier gar nicht sitzen.
Der altbekannte Vorwurf "Berufsjugendlicher" trifft Sie nicht mehr?
Ich habe mich nie als Jugendsprachrohr gesehen. Es war schon immer schlimm genug, fünf Tote Hosen als Einheit zu formulieren. Und dieser Vorwurf ist ja auch schon lange nicht mehr gekommen. Warum auch: Ich habe mit Jugend nichts am Hut.
Das merkt man in dem Song "Disco" von der neuen Platte. Da ist eine deutliche Differenz zu jugendlichen Vergnügungen spürbar, da versteht einer nicht mehr, was die da so treiben.
Das stimmt so nicht. Das Lied beschreibt völlig ambivalente Erfahrungen. In so einem Laden, wo nur Küken rumlaufen, kommt man sich schon mal komisch vor. Aber wenn du mit den richtigen Leuten in die Disco gehst und der richtige DJ haut rein? Sven Väth im Amnesia [Disco auf Ibiza], das ist so laut wie ein Rock-Konzert, das hat dieselbe Energie wie ein Rockkonzert. Wenn du richtig mitmachst, kommst du so verschwitzt und fertig da raus, als wärst du gerade bei Metallica gewesen.
Die neue Platte ist aber eindeutig eher Metallica als Disco, Glamour klingt keiner durch, sie ist ziemlich schwer und düster geworden.
Das kann ich so gar nicht sagen, da fehlt mir wohl noch der Abstand. Ich habe versucht, dass wir uns aufs Wesentliche konzentrieren, dass wir bei uns bleiben. Wir haben nicht mit anderen Leuten gearbeitet, wir haben kein englisches Lied auf der Platte. Ich habe mich ganz bewusst nicht ins Kloster oder in ein Hotelzimmer zurückgezogen, mich nicht aus dem Alltag rausgehalten, um näher dran zu sein an den Dingen, die ich eigentlich sagen wollte. Ich habe diesmal nicht wie sonst öfter mit Funny van Dannen kooperiert, sondern im Wesentlichen alleine gearbeitet - und ich bin wohl nicht so eine witzige Type, wie viele das glauben.
INTERVIEW: THOMAS WINKLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid
Bündnis Sahra Wagenknecht
Ein Bestsellerautor will in den Bundestag