: Torwart zur Kur geschossen
Die Berlin Capitals gewinnen das Regionalliga-Derby gegen die Eisbären Juniors überlegen mit 9:1. Dennoch steht der ehemalige DEL-Club sowohl sportlich wie finanziell vor schwierigen Jahren
von MARCUS VOGT
Das Mobiltelefon ist eines seiner meistbenutzten Utensilien. In der Regel begrüßt Lorenz Funk Anrufer freundlich mit „Grüß Gott“ oder „Ja, servus“ und schickt angenehme Mitteilungen übers Netz. Das war anders in den Tagen vor der Heimpremiere seines Clubs, der Berlin Capitals. Da schlug der Vereinspräsident regelmäßig Wünsche nach Freikarten ab. „Wir müssen leben, wir brauchen jeden Cent“, mussten sich Interessierte sagen lassen. Dennoch fanden Donnerstagnachmittag rekordverdächtige 3.683 Besucher den Weg in die Deutschlandhalle zum Spiel der Capitals gegen die Eisbären Juniors.
Passend zum Einheitstag hatte Funk für das Ost-West-Derby ein echtes Schmankerl parat: Er, der langjährige westdeutsche Rekordnationalspieler, Capitals- und Eisbären-Funktionär, legte den Puck auf den Anstoßpunkt, zusammen mit Joachim Ziesche, dem einstigen DDR-Eishockeyidol und Eisbären-Crack. Einheitssymbolik pur, und gleichzeitig ein Entspannungssignal an die Anhänger der Clubs, die sich neben Schmährufen gelegentlich auch handfestere Dinge um die Ohren werfen.
Den Friedensappell hatten offensichtlich einige Spieler nicht mitbekommen, denn zwei Fouls beschäftigten nach Spielende die Gemüter. Das erste war entscheidend für den hohen 9:1-Sieg (3:0, 5:1, 1:0) der Charlottenburger: Eisbär Daniel Nawrocki flog im zweiten Drittel vom Eis, da er mit einen fiesen Stockstich André Berger kurzfristig außer Gefecht gesetzt hatte. Während nach dem Reglement ein weiterer Eisbär Nawrockis obligatorische fünfminütige Disziplinarstrafe absaß, markierten die Hausherren mit zwei Mann Überzahl drei Treffer. Eisbär-Coach Harald Kuhnke musste sich bei Puckfänger Tobias John bedanken, dass die Niederlage nicht zweistellig ausfiel, und sorgte sich um dessen Wohl: „Den Torwart müssen wir erst mal zur Kur schicken.“ Die könnte auch Pavel Gross gebrauchen, denn das zweite derbe Foul verursachte der übermotivierte Caps-Stürmer. „Es war nicht so schlimm“, entschärfte er verbal seinen bösen Check von hinten, der Paul Paepke einen Krankenhausbesuch bescherte.
Mit dem Sieg verbuchten die Westberliner den dritten Erfolg nacheinander und sind mit 22 Treffern unangefochtener Tabellenführer. Die Aussicht auf die Aufstiegsrunde zur Oberliga ist etwas Seelenbalsam für Fans und Verantwortliche, nachdem im Sommer der freie Fall mit dem Zwangsabstieg aus der DEL über die nicht erteilte Startgenehmigung für die zweite Spielklasse bis zu Liga vier ihre Nerven strapazierte. Mit der insolventen Capitals GmbH, zu der das inzwischen aufgelöste DEL-Team gehörte, hat der Club jetzt rechtlich und finanziell nichts mehr zu tun. Mit dem früheren Nachwuchsteam „Young Capitals“ begann Funk den Neuaufbau unter dem Label „Berlin Capitals – die Preußen“. „Lieber gesund in der Regionalliga als unheilbar an Krebs erkrankt in der DEL“, kommentiert Funk die Entwicklung sowie das Konzept, auf junge Spieler aus der Region Berlin/Brandenburg zu setzen. Diese hangeln sich an den DEL-erfahrenen Kufen-Cracks Pavel Gross, Jan Schertz und Patrick Czajka zum Erfolg.
„Die drei allein werden nicht reichen, um in der Oberliga zu bestehen“, glaubt jedoch Puck-Veteran Ziesche. Und beim verletzungsanfälligen Gross, der sich gegen die Eisbären zweimal als Torschütze und dreimal als Vorlagengeber verewigte, ist unklar, ob er nächste Saison überhaupt noch spielt. „Vielleicht hängt der Pavel noch ein Jahr dran“, sagte Coach Andreas Brockmann mit dem Wissen, dass für Qualitätskäufe kein Geld vorhanden ist. Denn im monetären Sektor sieht es mau aus. Der finanzielle Aufwand ist auch in der Regionalliga groß, aber die Sponsoren sind an einer Hand abzuzählen.
Spenden der 500 Vereins- und Fördermitglieder sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein genauso wie die 2 Euro, die pro verkaufter und 8 Euro teurer CD der neuen Vereinshymne „Wir sind die Preußen aus Berlin“ anfallen, die zudem in den Nachwuchsbereich fließen. So ist der Aufstieg in die Oberliga aus finanziellen Gründen fast Pflicht, zumal fraglich ist, ob die Fans eine zweite Saison in Liga vier ertragen. In der höheren Spielklasse würde es Lorenz Funk bestimmt leichter fallen, Anfragen nach Freikarten zu bejahen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen