■ Tor für Deutschland: Ist ohne Kohl, Vogts und Klinsmann alles noch viel schlimmer als zuvor?
An einem Freitag im Frühsommer saßen zur Mittagszeit drei deutsche Männer beisammen auf einem Podium und lächelten. Genauer gesagt: Der Dickste von ihnen grinste feist, der Kleinste verkniffen, der Blondeste routiniert- gespielt. In Nizza schien an diesem Tag unmittelbar vor dem WM-Beginn die Sonne auf Bundeskanzler, DFB-Trainer und DFB-Kapitän. Und auch sonst alles bestens. Einen kurzen Moment freilich erlaubte man sich den Gedanken: Wollen mal sehen, wer von euch noch grinst, bevor das Jahr zu Ende geht.
Tja.
Heute sind alle drei weit weg und im großen und ganzen ist das auch okay so. Jürgen Klinsmanns pragmatische Philosophie des organisierten Sich-den-Arsch-Aufreißens ist spätestens seit der WM genauso widerlegt wie Berti Vogts' ähnliche, aber nationalere Machtphantasien von der unbezwingbaren Kraft deutscher Tugenden. Und Helmut Kohls simple Botschaften („Mehr über die Flügel und reinflanken“) wurden den immer komplexer gewordenen Rahmenbedingungen einer anstehenden Modernisierung längst nicht mehr gerecht.
Also sind andere da. Dennoch lautet vor dem morgigen Freundschaftsspiel gegen die Niederlande die Frage dringender als jemals zuvor: Was soll jetzt bloß werden?
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„Fußball ist eine einfache Sache. Eine Wissenschaft machen nur die draus, die etwas kompensieren müssen.“ (Erich Ribbeck, DFB-Teamchef)
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Es ist ein bißchen schade für Ribbeck, daß er im Sommer ahnungslos auf Teneriffa Fernsehen schaute – statt in Frankreich WM-Fußball. Natürlich hatten Wissenschaftler wie Mario Zagallo, Guus Hiddink oder Aimé Jaquet etwas zu kompensieren, letzterer z.B., daß Frankreich keine Stürmer hatte. Gut – ansonsten hätte manch anderer nicht zu sehen gekriegt, wie moderner, erfolgreicher Fußball funktionieren kann.
Wie? Durch totale Organisation, die es aber ermöglicht, daß aus grundsätzlicher Defensive in entscheidenden Momenten dafür vorgesehene Kreativkräfte ihre individuellen Fähigkeiten addieren.
Zu sehen war bei der WM ein weiteres Mal, daß moderner, erfolgreicher Fußball und Libero Gegensätze sind. Zweitens: Daß es keines Anachronismus namens „Spielmacher“ mehr bedarf, weil auch dessen Hauptfähigkeit, das Schlagen des „langen Balles“ gegen organisierte Klasseteams in der Regel wirkungslos geworden ist.
Was dieser Fußball neben echten Spielveränderern wie Rivaldo und Zidane braucht, sind (Innen-) Verteidiger auf der Höhe der Zeit, wie die Franzosen Liliam Thuram, Marcel Desailly und Laurent Blanc und vielleicht noch einen Tick mehr Frank de Boer. Der Amsterdamer Innenverteidiger hat gezeigt, daß moderner, erfolgreicher Fußball – da er pragmatisch, nicht romantisch ausgerichtet ist – so dringend wie den Kreativen hinter den Stürmern in der Abwehrkette Intelligenz-Fußballer braucht, die Physis, Schnelligkeit, Zweikampfstärke und das Auge haben, die besten Stürmer der Welt im Duell eins gegen eins aufzuhalten. Und über die fußballerischen Voraussetzungen verfügen, danach in Höchstgeschwindigkeit den scheinbar simplen, aber einzig richtigen Paß zu spielen, um den eigenen Angriff zu eröffnen.
Das niederländische WM- Team setzte in dieser Hinsicht mit seinem Jeder-(außer Jaap Stam)-kann-alles-System Maßstäbe. Morgen ist für den neuen Trainer Frank Rijkaard die Frage bloß, wo er im Moment mit seiner personellen Modifizierung steht. Für die Deutschen ist es grundsätzlich: Könnte man das nach entsprechender Einarbeitungsphase auch? Und – immer vorausgesetzt, es gäbe eine (Vierer-) Kette – wer? Der ehemalige Weltklassespieler Lothar Matthäus (laut Ribbeck „idiotischer“ Altershinweis: knapp 38) kommt wegen Problemen in 1:1-Situationen nicht mehr in Frage.
Zwar sagt Ribbeck, man könne gegen die Niederländer „nicht mit einem Libero und zwei Manndeckern“ spielen, dennoch will er mit Matthäus spielen. Es geht aber nur entweder Kette oder Matthäus – nicht beides. Nimmt er also drei Manndecker? Zieht einen von der Seite zurück, wie das bei Bayern gelegentlich schon wegen und zugunsten Matthäus gemacht werden mußte?
Wer könnte den Job machen? Theoretisch Stefan Effenberg. Schon eher: Olaf Thon, Dietmar Hamann, Jens Jeremies (womöglich Jens Nowotny oder der verletzte Markus Babbel). Fest steht: Es nützt nichts, nach dem Spielmacher zu schreien. Die neue Mitte ist hinten.
Das Jahr aber ist fast dahin, Erich Ribbeck hat in der Türkei verloren, in Moldawien gewonnen. Mit einem zweiten Sieg über einen reputierten Gegner könne man bereits, hofft er, „die Diskussionen um den Zustand des deutschen Fußballs versachlichen“. Das klingt wie: Vollends abwürgen. Stimmt ja: Leute wie Ricken, Neuville u.a. sind nicht Weltklasse, aber man könnte mit ihnen systematisch arbeiten. Das womöglich individuell etwas bessere, aber WM-gescheiterte Personal aber kann kaum anders als seinen Stiefel runterzureißen – manchmal besser, öfter nicht.
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„Wenn ich ein Problem bin“, sagte Matthäus gestern in Castrop-Rauxel, „soll man mit mir sprechen.“ Schweigen? Tja, die restaurativen Kräfte sind unverändert stark. Ist der Wechsel verpufft? Und alles noch viel schlimmer? Unlängst war einer der drei Abgewählten bei Bio. „Ich kann nur hoffen, daß es gelingt, den EM-Titel zu verteidigen“, sagte Berti Vogts. Er grinste. Wie in Nizza, bloß längst nicht mehr so verkniffen. Ein gutes Zeichen ist das nicht.
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