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Todesurteil für Malis Ex-Diktator

Der 1991 gestürzte Präsident Moussa Traoré wurde zusammen mit mehreren seiner Minister zum Tode verurteilt/ Schuldig an Massakern, die über hundert Menschen das Leben kosteten  ■ Von Dominic Johnson

Berlin (taz) – Es ist ein historisches Ereignis und der Höhepunkt eines der größten politischen Prozesse Afrikas. Moussa Traoré, der als Diktator gefürchtete Präsident Malis von 1969 bis 1991, wurde am Freitag von einem Gericht in der Hauptstadt Bamako zum Tode verurteilt, mit ihm auch sein Verteidigungsminister Mamadou Coulibaly, sein Innenminister Sekou Ly und sein Generalstabschef Ousmane Coulibaly. Sie waren die ranghöchsten Angeklagten in einem seit mehreren Monaten andauernden Massenprozeß gegen die Spitzen des alten Militärregimes, das nach einem blutigen Volksaufstand im März 1991 von jungen Armeeoffizieren gestürzt wurde. Die Angeklagten sind für den Tod von 106 Personen schuldig befunden worden, die dabei ums Leben gekommen waren.

„Überall lagen Menschen mit blutenden Wunden“, erinnerte sich der Filmemacher Cheik Oumar Sissoko gegenüber Le Monde an den 22. März 1991. „Die Soldaten warfen Handgranaten auf alle Leute, auf Kinder, auf Alte, auf Bettler. Sie schossen überall hin, in die Friedhöfe, die Große Moschee, vor das Gabriel-Touré-Krankenhaus.“ Wie viele Tote dieser blutigste Tag der Massenproteste gegen den Diktator Traoré forderte, ist nie endgültig geklärt worden. 106 wurden offiziell gezählt; auf sie bezieht sich der Schuldspruch. Andere Quellen gehen von mindestens 150 aus, wenn nicht 300. Drei Tage später wurde Traoré mitsamt Familie festgenommen; der junge Armeeoffizier Ahmadou Toumani Touré übernahm die Macht. Es war mehr als ein Militärputsch: „ATT“, wie der neue Machthaber genannt wurde, führte Mali zur Demokratie. Heute hat der Sahelstaat, einer der ärmsten der Welt, eine gewählte Regierung mit dem Intellektuellen Alpha Oumar Konaré als Präsident.

Die demokratische Revolution in Mali war in ihrer Art einzigartig in Afrika. Denn der alte Machthaber und seine Elite konnten nicht problemlos in das neue politische System integriert werden. Vielmehr blieb die gesamte Staatsspitze des alten Regimes im Gefängnis, um schließlich vor Gericht gestellt zu werden. Es wurde ein „Nürnberger Prozeß“ afrikanischer Art: Zu Prozeßbeginn, im Juni 1992, versammelten sich so viele Schaulustige vor dem Gerichtsgebäude, daß die Verteidigung die Verhandlung boykottierte und das Verfahren wieder abgesagt werden mußte. Erst am 26. November letzten Jahres ging es richtig los. Die Angeklagten: Staatspräsident Moussa Traoré, sein 16köpfiges Kabinett, sein Parlamentspräsident und das 15köpfige Zentralkomitee seiner Einheitspartei „Demokratische Union des Malischen Volkes“ (UDPM). Die Kläger: 413 in dem staatlich finanzierten „Verband zur Verteidigung der Opfer der Repression“ (ADVR) zusammengeschlossene Zivilparteien, die die Verwundeten und Hinterbliebenen des Aufstandes vertreten. Anwalt der Verteidigung: Jacques Vergès, der kontroverse französische Staranwalt. Anwalt der Anklage: Antoine Comte, ebenfalls Franzose, der unter anderem in Paris den libanesischen Mörder des iranischen Ex- Premiers Shapour Bakhtiar, Anis Naccache, verteidigte. Die Anklageschrift lautete für den Präsidenten, den Generalstabschef und die Verteidigungs- und Innenminister auf Mord, für die anderen auf Mittäterschaft bzw. Beihilfe.

Die Live-Übertragung des Mammutverfahrens im Radio passionierte ganz Mali. Aus Angst vor Lynchjustiz lief Vergès nur noch mit Leibwächtern herum. Der zu Traorés Zeiten von Nordkorea gebaute „Kulturpalast“ in Bamako, in dessen Azoumanan-Sissoko- Saal das Gericht tagte, war immer wieder von Tausenden belagert.

Während die Anklage es denkbar leicht hatte und die Gelegenheit zu Fensterreden gegen die Diktatur nutzen konnte, hatte die Verteidigung einen schweren Stand. Für „praktische Modalitäten“ der Wahrung öffentlicher Ordnung sei er nicht verantwortlich, beharrte Moussa Traoré und wies damit die Verantwortung für die Massaker seiner Armeespitze zu. Er habe von den Ereignissen auf den Straßen der Hauptstadt Bamako nichts Genaues gewußt. Generalstabschef Coulibaly seinerseits war nach eigener Aussage zur Zeit des Blutbades „im Bett“. Woraufhin sich einer der Anklagevertreter mokierte, „man hat wohl in die Luft geschossen, und die Leute sind gestorben, als die Kugeln wieder herunterfielen“.

Hinter dieser Verbalschlacht hatte der Prozeß aber tiefere politische Facetten. Schließlich war die Armee, die Traoré stürzte und die Demokratisierung Malis ermöglichte, dieselbe, über deren Massaker jetzt vor Gericht verhandelt wurde. Somit hätte es eigentlich eine Vergangenheitsbewältigung für das Militär sein müssen, ein Beweis des Verfassungspatriotismus der alten Institutionen in der neuen Demokratie. Aber es war nunmehr einfach genug, alle Verantwortung für Schandtaten unter Traoré auf die Herren auf der Anklagebank zu schieben. Deutlich wurde dies beim Unwillen der Regierung, dem Opferverband ADVR die geforderten Entschädigungen für Repressionsopfer zu bewilligen: Erst als der ADVR drohte, aus dem Prozeß auszusteigen, einigten sich beide Seiten auf Zahlungen von umgerechnet 60.000 Mark pro Toten und 600 Mark pro Verletzten.

Auch die politischen Folgen des Prozesses sind nicht ganz einfach. „Präsident Alpha Oumar Konaré sitzt in der Falle“, meinte ein Rechtsanwalt gegenüber Jeune Afrique. „Wenn Moussa Traoré zum Tode verurteilt wird, kann er ihn kaum begnadigen, weil er damit den Volkszorn auf sich ziehen würde. Aber wenn er von seinem Recht auf Begnadigung keinen Gebrauch macht, riskiert er, daß ihm dies einmal zum Vorwurf gemacht wird.“ Noch größere Auswirkungen könnte das Todesurteil in diktatorisch regierten Staaten Afrikas haben, wo der malische Präzedenzfall zur Beunruhigung von Herrschern wie Mobutu in Zaire oder Eyadema in Togo beitragen dürfte: Auch ihnen kann so etwas durchaus einmal passieren.

Vorerst überwiegt die Schockwirkung die praktischen Folgen. Nach dem Ende des Mordprozesses wartet auf Moussa Traoré, der Revision einlegen will, noch ein zweiter Prozeß, der sich mit den von ihm während seiner Amtszeit unterschlagenen Geldern befassen wird. Von Milliardenkonten in der Schweiz und Deutschland ist die Rede, in die der Reichtum des Baumwollexporteurs Mali über zwanzig Jahre lang geflossen sein soll. Mit dabei sind dann sicher auch Traorés Ehefrau, eine Schlüsselfigur der Korruption, die mit ihren Kindern noch im Gefängnis sitzt. Die Analyse eines durch und durch korrupten Wirtschaftssystems, dessen Akteure vielerorts noch in Amt und Würden sind, könnte für die Zukunft Malis insgesamt bedeutsamer werden als die emotionale Bewältigung einer ins kollektive Gedächtnis eingegangenen Revolution.

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