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Todesstrafe für Mafioso

■ Prozeß um Journalistenmord in Litauen wurde zum politischen Skandal

Warschau (taz) – Weil Mafia- Boß Boris Dekanidze einen Journalisten ermorden ließ, hat ihn der Oberste Gerichtshof Litauens am Donnerstag zum Tode verurteilt. Mit diesem Richterspruch endete zugleich der aufsehenerregendste Prozeß der litauischen Nachkriegsgeschichte. Das Gericht erkannte den 32jährigen Dekanidze für schuldig, gedungenen Mördern im Oktober vergangenen Jahres den Auftrag zur Ermordung Vytas Lingys' erteilt zu haben. Lingys war Spezialist für die Aufdeckung der Aktivitäten der Unterwelt in Litauen.

Boris Dekanidze, Kopf der „Vilnius Brigade“, einer gutorganisierten Schutzgelderpresserbande, den die litauischen Behörden bereits seit längerem im Visier und zur Persona non grata erklärt hatten, leitete seine „Geschäfte“, bereits seit einiger Zeit vom benachbarten Lettland aus, als er einen seiner Männer Ende September 1993 nach Riga beorderte. Dort erhielt der besagte Igor Achremow zwei Fotos des Mannes, den er aus dem Weg räumen sollte.

Keiner der Täter wußte, wen sie umbrachten

Am 12. Oktober letzten Jahres war es dann soweit, Achremow fuhr mit drei Kumpanen zusammen zum Haus seines Opfers und schoß diesem dreimal in den Hinterkopf. Keiner der vier wußte, daß der Ermordete Vytas Lingys hieß und ein Journalist war, der sich mit bestens recherchierten Geschichten über das kriminelle Innenleben der litauischen Hauptstadt, die Verbindungen zwischen Unterwelt, Politik und Business einen Namen gemacht hatte. Genau dies jedoch wurde den Mördern zum Verhängnis: Da der Mitherausgeber der zweitgrößten litauischen Tageszeitung Respublika bereits mehrere Morddrohungen erhalten hatte, fehlte es den Ermittlern nicht an Hinweisen.

Der Lingys-Prozeß begann im Oktober dieses Jahres. Wenige Monate zuvor war ein ähnlicher Prozeß um eine Schutzgelderpresserbande mit der Freilassung der Angeklagten aus Mangel an Beweisen gescheitert. Zum ersten Mal schien es jetzt möglich zu sein, anhand der Beweise Mitglieder der litauischen Mafia zu verurteilen. Da sich bis heute der Verdacht hält, bei dem gescheiterten Prozeß vom Sommer habe die Mafia ihre Verbindungen zu den Richtern spielen lassen, wurden die Richter speziell ausgewählt. Dabei entschied man sich vorzugsweise für solche, die in der Vergangenheit für harte Urteile und lange Freiheitsstrafen bekannt waren. Die Anklage vertrat der litauische Generalstaatsanwalt persönlich.

Doch trotz der guten Vorbereitungen drohte auch dieser Mafia- Prozeß zu einem Skandal zu werden, wenngleich aus anderen Gründen. Schon kurze Zeit nach dem Mord an ihrem Mitherausgeber gelang es der Respublika, die Namen der Hauptverdächtigen zu ermitteln. Sie veröffentlichte diese auf der ersten Seite, nicht ohne ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß der mutmaßliche Auftraggeber des Mordes, Boris Dekanidze, jüdischer Abstammung sei. Frederikas Jansonas, Redakteur des Blattes, stellte dies gar nicht erst in Zweifel: „Die litauischen Juden legen ja auch Wert darauf, nicht als Litauer, sondern als Juden während der deutschen Besatzung gelitten zu haben. Deshalb finden wir, daß es auch ganz in Ordnung ist, wenn wir diese Trennung in Juden und Litauer auch dann vornehmen, wenn es einmal nicht zu deren Vorteil ist.“ Mit dieser vertrackten Logik hat es die Zeitung geschafft, das Lingys-Verfahren von einem Prozeß gegen die Mafia zu einem politischen Skandal umzufunktionieren. Wer das ebenso antiklerikale wie antijüdische Blatt dieser Tage las, konnte erstaunt feststellen, daß in Vilnius nicht fünf Angeklagte sondern fünf „Mörder“ vor Gericht saßen. Die Unschuldsvermutung existierte für die Redaktion nicht.

Dem Hauptangeklagten Boris Dekanidze, Sohn eines bekannten Vilniusser Hotelbesitzers, kamen die Attacken der Respublika gerade recht. Er nutzte die „Chance“, die ihm die Zeitung bot und erklärte, er sei tatsächlich litauischer Jude und stehe nun vor Gericht aufgrund von Intrigen einer Lobby aus Politikern und Geschäftsleuten, deren Ziel es sei, den Einfluß jüdischer Konkurrenten zurückzudrängen. Beweise oder auch nur Hinweise hatte er nicht — außer eben den Artikeln der Zeitung. Gegen das Urteil kann Dekanidze keine Berufung einlegen, sondern nur ein Gnadengesuch stellen. Der Mörder selbst wurde wegen seiner Kooperation mit der Polizei nicht zum Tode, sondern zu lebenslanger Haft verurteilt. Zwei Komplizen, die wie Dekanidze bis zuletzt ihre Unschuld beteuerten, erhielten Gefängnisstrafen von 14 und 13 Jahren. Klaus Bachmann

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