Tod in Sozialen Medien: Kein Recht auf Ewigkeit
Twitter will lange inaktive Accounts löschen. Doch nach Protesten zum Umgang mit Accounts Verstorbener wird die Aktion verschoben.
Vor einiger Zeit hatte ich eine Freundschaftsanfrage auf Facebook. Ein mir unbekannter Mensch, allerdings mit einer größeren Zahl gemeinsamer Freund*innen. Schau ich mir später an, dachte ich. Ein paar Tage darauf wurden mir mehrere Posts mit dem Unbekannten, den ich schon längst wieder vergessen hatte, in die Timeline gespült. Beileidsbekundungen. Noch lange stand seine Freundschaftsanfrage unbeantwortet da. Sie abzulehnen erschien mir nun irgendwie pietätlos, sie anzunehmen aber auch. Irgendwann war die Anfrage weg, der Account ebenfalls, vielleicht gelöscht von Angehörigen, die es ja bisweilen nicht ganz leicht mit dem digitalen Nachlass von Verstorbenen haben.
Das Thema macht derzeit ein wenig die Runde, da Twitter angekündigt hatte, ab Mitte Dezember Konten löschen zu wollen, in die sich für mehr als ein halbes Jahr niemand eingeloggt hat. Die Bereinigung ungenutzter Konten ist keine große Sache. Das trifft vor allem Menschen, die einfach keine Lust mehr auf den Dienst hatten, verwaiste Werbeaccounts, Testkanäle und dergleichen. Es gibt kein Recht auf Ewigkeit, nicht einmal für aktive Accounts. Twitter zu nutzen ist schließlich kostenlos. Wer Gedanken und Bilder auf einer proprietären Plattform lagert, muss damit leben, dass jemand anderes über die Halbwertzeit dieser Daten entscheidet.
Was aber, wenn jemand stirbt? Nun ja, diese Person ist dann tot. Schreibt keine Briefe mehr, macht keine Fotos, folgt niemandem, twittert nicht mehr. Bei Twitter überlegt man nach Protesten einen neuen Umgang mit den Accounts Verstorbener und verschiebt die Aufräumaktion so lange, bis es eine Lösung gibt.
Was nichts daran ändert, dass es keine tradierte Kulturtechniken für den Umgang mit gegebenenfalls weit verstreuten digitalen Zeugnissen eines vergangenen Lebens gibt. Diese nicht rechtzeitig unabhängig von den Konjunkturen der Social-Media-Plattformen oder deren periodischen Entrümpelungen und anderer Willkür zu machen, ist stillschweigendes Einverständnis mit deren Macht über unser Leben, noch über dessen Ende hinaus. Zum Beispiel ein Masterpasswort für Erben zu hinterlegen kann da Abhilfe leisten – vor allem auch dann, wenn eine automatische Löschfrist von sechs Monaten noch zu lang erscheint.
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