: Tina Turner auf Tour
■ Die Rock–Diva startet heute in München Fast alle Konzerte sind schon ausverkauft
Aschermittwoch abend, München Olympiahalle. Tina Turner startet ihre Deutschland– Tournee. Allein in München gibt sie sieben Konzerte, insgesamt sind es 32 Konzerte, in den meisten Städten mehr als eins. Mehr als eine Viertelmillion Karten sind bereits verkauft, 35 Mark das Stück, die meisten Konzerte sind so gut wie ausverkauft. Seit zwei Jahren ist Tina Turner wieder da. Schon einmal war sie in der Rockszene ganz oben, geriet wieder in Vergessenheit und schaffte ein sagenhaftes Comeback.
„Eigentlich bin ich eine rundum zufriedene Person“, sagt Tina Turner Ende 1986. „Ich habe meine Lektionen gelernt, die Schulzeit liegt hinter mir. Ich habe keine existentiellen Zweifel mehr, und nun fange ich an zu leben.“ Das liest sich ganz selbstverständlich, schließlich hat die zeitlos schöne Miss Turner zu dem Zeitpunkt gerade ihren 48. Geburtstag hinter sich, ihr zweites überaus erfolgreiches Solo–Album in den Hitparaden aller Länder plaziert, warum sollte also die Frau, für die ganz offensichtlich hochhackige Pömps erfunden wurden, unzufrieden sein? Beim biografischen Rückblick auf Tinas bewegtes Leben wirken ihre Feststellungen allerdings wesentlich weniger selbstverständlich. Am 26.11.1939 wird Annie Mae Bullock auf einer Plantage am Stadtrand von Nutbush/Tennessee geboren. Sobald sie kräftig und groß genug ist, pflückt sie wie ihre Eltern und die Schwester auf den Feldern Baumwolle und Erdbeeren. Sonntags singt sie im örtlichen Kirchenchor. Die Mutter trennt sich von Vater Bullock und zieht mit ihren Töchtern nach Manhattan/St. Louis. Annie und ihre Schwester sind jetzt alt genug, um am Wochenende tanzen gehen zu dürfen. Im angesagten Club der Stadt gastiert „The King of Rhythms“, und Annie Mae ist völlig hingerissen. So eine Musik hat sie noch nie gehört, das will sie auch singen - doch der Bandleader sagt nein. Alle finden Annies Schwester toller, doch als der Trommler der Gruppe ihr eines Abends ein Mikrofon reicht und sie bittet, zu singen, hat sie Angst. Stattdessen nimmt Annie Mae das Mikrofon und der Bandleader Ike Turner kann nicht fassen, was in diesem mageren Mädchen steckt! „Die richtig kann ja singen“, denkt sich Maestro Turner und entwickelt seinen Karriereplan: Glitzerklamotten müssen her, möglichst kurz und tief ausgeschnitten - bei den Beinen! Pfundweise Make–Up und schöne glatthaarige Perücken. Das Mädchen wird dann im pinkfarbenen Fleetwood durch die Gegend kutschiert - das macht Eindruck. Annie Mae ist schnell zu überzeugen. 1959 bekommt sie einen Sohn vom Saxophonisten der Band. 1963 ist sie wieder schwanger, diesmal von Ike. Sie heiraten, und aus Annie Mae wird Tina Turner. Im Grunde will sie gar nicht. Ike hat ihr schon mal bei Proben eine Ohrfeige gegeben, wenn sie seiner Meinung nach zu begriffstutzig war. Aber was solls? Ike wird aus Tina einen Star machen. So einen Mann zu verlassen, wäre doch ausgesprochen dumm. Ike Turner weiß genau, was für ein Juwel er an sich bindet, und hält sich dank seines steigenden Kokain– konsums mit entsprechend aufgeblähtem Ego für den Einzigen, Größten, Schärfsten überhaupt. Er schreibt die meisten Songs für die sagenumwobene Ike–und–Tina–Turner–Revue und mietet drei tanzbegabte Sängerinnen mit sexy Ausstrahlung; den ersten riesigen Hit aber verfaßt zu seinem Verdruß Gattin Tina 1974, die Geschichte ihrer Jugend in „Nutbush City Limits“. Je größer der Erfolg des attraktiven Paares, das sich - auch eine Idee von Ike - immer eher weiß als schwarz präsentiert, umso selbstherrlicher und ungeduldiger wird Meister Turner; sein Alkohol– und Drogenkonsum wirkt verheerend auf diese Entwicklung, und am meisten bekam natürlich Tina seinen Irrsinn zu spüren. Während nach außen das Trugbild des sexy–harmonischen Paares verblüffend wirkt, bezieht Tina immer häufiger Prügel. Später sagt sie: „Eigentlich tat er mir leid, wenn er so ausrastete. Er war immer so verwirrt.“ 1976, kurz vor einer Show in Dallas/Texas, verprügelt Ike seine Frau zum sie–weiß–nicht– wievielten–Mal. Tina sagt, sie habe noch etwas im Hotelzimmer vergessen, packt eine Plastiktüte voll und steht kurz drauf mit 36 Cent und einer Tankstellenkreditkarte in der Tasche auf der Straße. Sie ist 36. Bei der Scheidung bekommt Tina keinen Cent vom gemeinsam erspielten Kapital, muß sogar noch Schadenersatz zahlen, weil durch ihr Verlassen Konzertverpflichtungen geplatzt waren. Tina tingelt: Las Vegas, billige Clubs in Europa, acht Jahre lang ist sie der Schnee von gestern. 1982 erinnert sich plötzlich Mick Jagger an Tinas wundervolle Stimme, die englischen Soundtüftler Heaven 17 bitten sie, bei ihrem Album „Music of Quality and Destinction“ mitzumachen - plötzlich entdeckt und hört eine junge Generation Tina Turner, und ihre Eltern erinnern sich auch wieder. Comeback? „Wieso?“, lacht Tina, „ich habe nie meinen Rücktritt bekannt gegeben!“ Ihr Solo–Debut „Private Dancer“ verkaufte sich bislang knapp eine Million mal, 1984 bekommt sie drei Grammy–Preise dafür. Die anschließende Welttournee ist komplett ausverkauft, wie auch jetzt nach „Break Every Rule“ die anstehende Konzertreise. Tina hats geschafft. Sie konnte sich und ihrer Mama Hollywood–Villen erwerben, sammelt leidenschaftlich kostbare Art–Deco–Preziosen, fährt einen speziell für sie gefertigten Mercedes. Sie schaut nicht mehr zurück, nimmt, wie sie sagt, die Vergangenheit nicht mehr so ernst, und ist im Wortsinn heilfroh, seit langem Buddhistin zu sein. „Ich liebe die Ruhe, keine Musik, kein Fernsehen, keinen Besuch. Und wenn ich lese, dann nur Philosophisches. Schließlich will man wissen, woher man kam und wohin man geht.“ Nach dieser Mammuttour jedenfalls will sie erst mal lieber zum Film, und dann am liebsten „alles spielen, was grell und überzeichnet ist“. Im übrigen ist sie rundum zufrieden. Gitti Gülden
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