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Tierra y libertad, Viva Zapata!

■ Indianische Guerilleros probten den bewaffneten Aufstand im Süden Mexikos / Ihre Forderungen: Schluß mit dem Völkermord, Land und Arbeit, bessere Gesundheitsversorgung und Bildung

San Cristóbal de las Casas (taz) – Zunächst riefen sie dazu auf, nach Mexiko- Stadt zu marschieren und die Regierung mit Waffengewalt zu stürzen, doch dann gaben sie gestern die südmexikanische Stadt San Cristóbal de las Casas kampflos wieder auf. Die Truppe von mehreren hundert bewaffneten Indios und Bauern hatte in den frühen Morgenstunden des Samstag fünf Ortschaften im Hochland von Chiapas besetzt, darunter die 80.000- Menschen-Stadt San Cristóbal de las Casas.

Die Regierung des an Guatemala grenzenden Bundesstaates Chiapas war offenbar von dem gut vorbereiteten Aufstand überrascht worden, bei dem nach offiziellen Angaben mindestens 6 Polizisten getötet und 18 weitere verletzt worden sein sollen. So hatte es zuerst geheißen, einige hundert indianische Bauern hätten Unruhen provoziert. Wenig später teilten die Behörden des Bundesstaates mit, die Guerilleros würden „offensichtlich“ paramilitärisch angeführt und seien zum Teil mit schweren Waffen ausgerüstet.

In San Cristóbal hatte der Aufstand damit begonnen, daß die Indianer den Justizpalast in Brand gesteckt hatten. Anschließend besetzte eine Gruppe der Rebellen das Rathaus und richtete in dem Gebäude schwere Verwüstungen an. Später nahmen sie in Apotheken und Lebensmittelläden Umverteilungen vor. Nach Informationen des mexikanischen Fernsehens waren sie mit einer modernen Funkanlage ausgerüstet. Nach einem Fax von Christofer Fischer, einem in San Cristóbal festsitzenden deutschen Reiseleiter, das die taz erreichte, hatten die Rebellen einen Kurzwellensender eingenommen.

Über diesen warfen sie der mexikanischen Regierung vor, Genozid an ihren indianischen Völkern zu verüben, und verbreiteten ihre Forderungen: Schluß mit der Unterdrückung der Landbevölkerung; Arbeit und Land; eine bessere Gesundheitsversorgung und den Ausbau des Bildungssystems. Die Rebellen nennen sich „Ejército Zapatista de Liberación Nacional“, EZLN, „Zapatistisches Nationales Befreiungsheer“, und riefen ihre Anhänger dazu auf, mit ihnen nach Mexico City zu marschieren. Auf dem Wege dorthin werde „die mexikanische Armee besiegt“ werden.

Unklarheit herrscht über die Stärke des Rebellenheeres. Während die Regierung von Chiapas von 200 Rebellen sprach, berichtete Christofer Fischer von 800 Aufständischen. In jedem Fall war das Datum des Aufstands mit Bedacht gewählt worden. Zum einen ist für Mexiko vorgestern ein Wahlkampfjahr angebrochen, zum anderen trat das von der mexikanischen Linken abgelehnte Freihandelsabkommen mit den USA und Kanada in Kraft. Ebenso wohlkalkuliert ist die Benennung der Gruppe nach Emiliano Zapata. Der Mestize, der in Mexiko ein Nationalheld ist, kämpfte von 1910 bis zu seiner Ermordung 1919 zusammen mit seinem Guerilla- Heer für die Rechte der armen Bauern in der mexikanischen Revolution.

Ein Regierungssprecher von Chiapas erklärte gestern, daß die Behörden sich um eine friedliche Beilegung des Aufstandes bemühten. Die drei katholischen Bischöfe des Bundesstaates versuchten unterdessen, wie der Bischof von San Cristóbal, Samuel Ruiz, mitteilte, zwischen den Aufständischen und den staatlichen Behörden zu vermitteln. Die Regierung warf allerdings „einigen katholischen Geistlichen, die der Befreiungstheologie anhängen“, vor, die Aufständischen zu unterstützen.

Neben der Stadt San Cristóbal hatten die EZLN-Kämpfer auch die kleineren Orte Ocosingo, Las Margaritas, Altamirano und Chanal eingenommen. Wohin sich die zapatistischen Rebellen zurückgezogen haben und ob ihr Abzug aus San Cristóbal das Ende ihres Aufstandes bedeutet, war gestern bis Redaktionsschluß noch unklar.

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