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Tierischer Gesang im Hof und Italo-Pop in den ClubsVögel am Morgen

Ausgehen und Rumstehen

von Stephanie Grimm

Lange Tage sind super. Vor allem, weil es abends spät dunkel wird. Morgens dagegen sieht die Sache oft anders aus. Findet man nicht beizeiten ins Bett, lässt sich der Rabatz der Vögel im Hof kaum ausblenden.

Hoffentlich findet der lauteste bald eine Gefährtin, sein Gezwitscher geht ins Mark. Der Freund, der gerne Natur-Dokus guckt, behauptet, dass es darum nicht gehe. Der Vogel müsse einfach sein Territorium markieren. Na toll. Dann geht das noch eine Weile so. Hell ist es nun auch schon. Und doch immer noch mitten in der Nacht. Vernünftig schlafen geht trotz Ohrenstöpsel kaum. Da hilft nach stundenlangem Gedöse nur der Sprung ins kalte Freibadbecken.

Samstagnachmittag geht es dann zum Torstraßenfestival. In den Katakomben des Bassy-Clubs ist es dunkel, das Weddinger Post-Punk-Trio Kala Brisella klingt tight und in gutem Sinn rumpelig. „Endlich krank“ heißt ihr Debüt und ist eine Art Motto, die lässige Schlagzeugerin liefert knochentrockene Ansagen. Das ist wohl die Arroganz der Jugend. Blöderweise häufen sich die Meldungen über schlimme Krankheiten im Bekanntenkreis seit einer Weile wirklich, das kommt wohl mit den Jahren. „Was haben die es gut“, denkt man sich über 23-Jährige. Und nimmt’s als Anregung, doch jetzt schon Bier zu trinken, was erstaunlicherweise die Müdigkeit wegbläst.

Andere haben ebenfalls mit Schlappheit zu kämpfen. Vor einigen Bühnen, die auf dem Festival bespielt werden, sitzt und liegt das Publikum auf dem Boden, als wäre es die Wiese eines Hippie-Festivals. Zum Auftritt von Devon Welsh, dem ehemaligen Singer-Songwriter der Majical Cloudz, im Grünen Salon passt das andächtige Sitzen, strebt der Kanadier doch mit minimalen Mitteln maximale Überwältigung an.

Jemand erzählt, dass man Welshs Vater aus „Twin Peaks“ kenne. Stimmt, da war was. Doch wen hat er noch mal gespielt? Vielleicht erklärt sich so die eindringliche Aura seines Sohns. Verschiedene Theorien zirkulieren im Flüsterton. Dankenswerterweise holt niemand sein Smartphone raus. Das Rätsel darf bestehen bleiben, zumindest für den Moment. (Nachtrag: Kenneth Welsh spielte Windam Earle, den Expartner von FBI-Agent Cooper – eine Art böses Genie).

Stella Chiweshe – teils lebt sie in Berlin, teils in ihrer Heimat Simbabwe – beschäftigt im Acker Stadt Palast ihre Zuhörer auf eine ganz andere, herzallerliebste Weise. Sie wünscht sich vom Publikum einen Chor von Vogelstimmen zur Untermalung der Sounds, den sie ihrer Mbira entlockt, einer Art Lamellofon. Die formt sie zu einer Mischung aus Afro-Percussion, Ambient und Minimal Music. Es dauert ein bisschen, bis die Menschen sich trauen. Dann aber wird das Gezwitscher lauter. Eindeutig dominiert der Kuckuck. Leute, ist das wirklich der einzige Vogelsound, den ihr kennt? Kommt mal bitte morgens um vier in meinen Hof!

Chiweshe ist eine schalkhafte Frau von 70 Jahren. Bald stellt sie fest, dass das Publikum auf einmal traurig wirkt. Tatsächlich hängt dank der Zwitscherei eine entrückte Melancholie im Raum. Das wollte sie nicht, erklärt Chiweshe und animiert ihre Zuhörer nun zum Mitsingen. Ihr Plan geht auf, das kennt man aus der Karaokebox. Beschwingt stolpern die Menschen nach draußen.

Sommerliche Luftigkeit nach all den dunklen Clubs: Auch wenn das Festival kein Straßenfest ist – die Kneipen und Spätis an der Torstraße tun ihr Bestes, es dazu zu machen. Vor dem St. Oberholz guckt eine ältere Passantin genervt auf die Menschentraube, die zum schrägen Synthie-Schlager-Pop von Itaca tanzt und den Weg versperrt. Durch das offene Fenster sieht man das Duo aus Rom graziös vortanzen. 15 Minuten später – längst hätte sie das Nadelöhr passieren können – steht die Dame immer noch da und guckt entrückt zu.

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