Tierheilpraktik in Schleswig-Holstein: „Man muss die Grenzen kennen“
Als Tierheilpraktikerin greift Juliana Garcia de la Cruz auf Akupunktur, Homöopathie oder chinesische Medizin zurück. Ihr Beruf ist nicht geschützt.
Juliana Garcia de la Cruz hat sich einen Beruf ausgewählt, für den sie oft belächelt wird. Sie ist Tierheilpraktikerin und zu ihren Patienten gehören Katzen, Hunde und Pferde. An diesem Nachmittag im September fährt sie mit ihrer mobilen Tierheilpraxis nach Quickborn und besucht ihre Patientin, die Hündin Estrella. Sie hat ein blaues und ein braunes Auge und braun-weiß geflecktes Fell. Estrella leidet unter einer Angststörung.
Sie ist schreckhaft, übergibt sich bei jeder Autofahrt, zuckt zusammen, wenn sie an den Ohren gestreichelt wird. Ihre Besitzerin Sandra Schmidt ist verzweifelt. Die Tierärzte wollten ihrer Hündin lediglich Sedativa verschreiben. Aber: „Ich wollte ihr nicht irgendwelche Tabletten geben, damit sie ruhig ist“, sagt sie. „Mir war klar, dass die Angst Estrella krank macht.“ Also suchte sie nach einer Alternative.
Garcia sitzt auf dem roten Samtsofa im Wohnzimmer und öffnet die Patientenakte. Seit einem halben Jahr ist die Hündin bei ihr in Behandlung. Seither hat sich vieles verändert. „Estrella kommt aus Spanien und gehörte einem Jäger“, sagt Garcia. „Als sie trächtig wurde, sperrte er sie über einen langen Zeitraum in einen Schuppen.“ Drei ihrer Welpen habe sie nach der Geburt verloren. „Sie hat ständig in Angst gelebt“, sagt Garcia. Diese Angst habe sich nun in ihrer Niere festgesetzt.
„Es ist wichtig, das Tier als Ganzes zu betrachten und nicht nur das Organ“, sagt die Tierheilpraktikerin. Im Zentrum der Behandlung stehe daher die Anamnese, bei der alle potenziell relevanten Informationen über das Tier erfragt und beobachtet werden. Dazu gehören neben den körperlichen Aspekten vor allem die Lebensgeschichte und die Emotionen des Tieres: Wie verhält sich das Tier, wie sieht es aus, wie reagiert es, wie bewegt es sich. Dies beobachtet Garcia zunächst „von Weitem“, erst dann tritt sie nah an das Tier heran und untersucht den Körper, wie es auch konventionelle Veterinäre tun würden.
Estrella liegt ruhig in ihrem Hundebett. In der Ferne ist das dumpfe Rauschen eines vorbeifliegenden Flugzeuges zu hören. Plötzlich reißt Estrella ihre Augen auf, hebt ihren Kopf nach hinten und blickt hektisch durch den Raum. „Das Symptom Angst zu behandeln, ist das Schwierigste überhaupt“, sagt Garcia und hockt sich hinter die Hündin. Estrella steht nun auf allen Vieren, doch sie wendet noch immer ihren Blick von links nach rechts. Vorsichtig tastet Garcia den Rücken des Tieres ab.
„In der chinesischen Medizin laufen entlang der Wirbelsäule verschiedene Shu-Punkte“, sagt sie. „Jeder Punkt hat eine Verbindung zu einem Organ und einem dazugehörigen Meridian, in dem Energie fließt.“ Während sie langsam die Hündin abtastet, zuckt Estrella bei einer Berührung abrupt zusammen. „An diesem Punkt ist sie besonders empfindlich“, sagt Garcia.
In der chinesischen Medizin gibt es ein Fünf-Elemente-System. Die Lunge stehe in diesem Energiekreislauf vor der Niere und sei somit ihr Mutterelement. Das heißt, sie gibt ihre Energie an die Niere weiter, so Garcia. „Ich muss also erst die Mutter stärken, damit die Niere wieder Energie bekommt“, sagt sie und holt ein Lasergerät aus ihrer schwarzen Medizintasche. Dann setzt sie den Laser auf den Shu-Punkt und beginnt mit der Laser-Akupunktur-Behandlung.
Für Estrella ist es die dritte Akupunktur-Sitzung. Zudem verschrieb ihr die Tierheilpraktikerin für drei Wochen Süßholzpulver, welches ihr über das Futter verabreicht wurde. „Die Übelkeit konnten wir so in den Griff kriegen“, sagt Garcia. Die alternativen Mittel sind dieselben wie für Menschen und in jeder Apotheke erhältlich. Beim Tier wird nur die Dosierung dem Körpergewicht angepasst.
Neben chinesischer Medizin setzt die Tierheilpraktikerin auch auf andere alternativmedizinische Behandlungen. „Homöopathie mache ich sehr gerne“, sagt sie. Beim Tier sei diese jedoch nicht immer anwendbar, da detaillierte Informationen fehlten. So kann ein Tier ihr nicht sagen, wie genau sich ein Schmerz anfühlt. Dann ist es schwierig, „Ähnliches mit Ähnlichem zu behandeln“, wie in der Homöopathie üblich. Daher behandelt sie nur homöopathisch, wenn das Krankheitsbild ganz klar ist.
„Estrellas Behandlung hat knapp 100 Euro gekostet“, sagt Garcia. Im Regelfall bezahlen ihre Kunden rund 60 Euro die Stunde. Die Preise orientieren sich an dem Gebührenverzeichnis der Arbeitsgemeinschaft deutscher Tierheilpraktiker.
Der Beruf des Tierheilpraktikers ist nicht staatlich anerkannt. Tierheilpraktiker dürfen entsprechend nur im Rahmen der für jedermann geltenden Tierschutzgesetze praktizieren. Klinische Maßnahmen, wie etwa chirurgische Eingriffe, dürfen sie nicht ergreifen. Auch Medikamente dürfen nicht einfach verschrieben werden. Da sich jeder Tierheilpraktiker nennen kann, fehlt es häufig an Wissen für eine Diagnostik und Behandlung. Für die Tiere kann das tödlich enden.
Garcia hat vier Jahre lang eine Ausbildung an der Akademie für Tierheilkunde in Bad Bramstedt gemacht. „Es ist sehr viel Wissen, dass man sich aneignen musste“, sagt sie. Sie ist nicht grundsätzlich gegen die Schulmedizin. „Jeder Tierheilpraktiker muss seine Grenzen kennen“, sagt sie. Deswegen arbeite sie auch mit Tierärzten zusammen, etwa wenn einer ihrer Patienten eine starke Infektion hat.
„Manchmal muss man nach einem anderen Ansatz suchen“, sagt sie. Dies wünsche sie sich auch von den konventionellen Tierärzten. Viele seien jedoch für eine alternative Behandlung nicht offen. Garcia de la Cruz bedauert diese Einstellung. „Hauptsache, dem Tier geht es besser, egal wie“, sagt sie.
Bei Estrella scheint die Behandlung angeschlagen zu haben. „Sie ist viel offener geworden“, sagt Sandra Schmidt, während sie ihre Hündin zärtlich am Hinterkopf streichelt. „Unsere Bindung war schon eng, aber nun ist sie enger“, sagt sie und lächelt.
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