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Archiv-Artikel

Tief im Süden

Die deutsche Leichtathletik tat auch bei der Hallen-WM in Budapest das, was sie seit längerem tut: kränkeln

BUDAPEST taz ■ Wie weit sind die deutschen Leichtathleten bloß gesunken bei den Hallen-WM am Wochenende in Budapest, der „Standortbestimmung auf dem Weg nach Athen“ zu den Olympischen Spielen, wie es ihr Leistungssportchef Rüdiger Nickel postuliert hatte? Sowohl im Medaillenspiegel als auch in der Wertung der Finalplätze findet man sie tief im Süden, im Niemandsland zwischen Karibikinseln, Kamerun und der Republik Kongo. Die deutsche Leichtathletik hat ein Standortproblem.

Rüdiger Nickel versucht auch gar nicht, das zu beschönigen. „Das Ziel war: Eins plus x an Medaillen und vier bis sechs Endkampfplatzierungen“, erinnerte er. Das haben die 22 Vertreter des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) zwar erreicht mit der Bronzemedaille des 200-Meter-Sprinters Tobias Unger (LAZ Kornwestheim/Ludwigsburg) sowie den Finalteilnahmen von Nadine Kleinert (Magdeburg/4. im Kugelstoßen), Tim Lobinger (Köln/5. im Stabhochsprung), Daniela Rath (Leverkusen/5. im Hochsprung), Sabrina Mockenhaupt (Sieg/7. über 3.000 m) und Nastja Ryshich (Ludwigshafen/8. im Stabhochsprung). Zufrieden war Nickel dennoch nicht: „Die Minimalerwartungen sind eingetreten, aber das reicht uns nicht“, bilanzierte er das schlechteste Abschneiden des DLV bei globalen Hallen-Titelkämpfen.

Aus denen kann man zwar nie auf den Sommer hoch rechnen, aber Trends sind oft zu erkennen, so auch diesmal. „An der zielgenauen Vorbereitung fehlt einiges“, analysierte Nickel im Funktionärsdeutsch, „es ist eine fehlende Leistungskonstanz zutage getreten.“ Was er meinte: Zu viele Athleten blieben beim Saisonhöhepunkt zu weit hinter ihren Vorleistungen zurück. Nur Kugelstoßerin Kleinert steigerte sich (auf 19,05 Meter), einige wie der Weitspringer Nils Winter (Leverkusen/9. mit 7,95) blieben zumindest in einem engen Rahmen.

Man kann das Gesamtergebnis der DLV-Auswahl sicher auch erklären mit den vielen jungen und unerfahrenen Athleten, die bei einer internationalen Meisterschaft debütierten. „Es hat sich gezeigt, dass es notwendig war, ihnen den Einstieg zu erleichtern“, fand jedenfalls Nickel: „Die Athleten werden im Sommer dankbar sein, dass sie eine solche Veranstaltung schon hinter sich haben.“ Und die Verjüngung hat ja auch etwas Positives. Sprinter Sebastian Ernst aus Schalke und Weitspringerin Sophie Krauel aus Jena, beide 19, schaffen offenbar mühelos den Übergang von den Junioren zu den Senioren. „Das sollte anderen Talenten Mut geben“, hofft Nickel, der in seiner Einzelkritik außer Tobias Unger vor allem Sebastian Ernst lobte, obwohl der das Finale knapp verpasste.

Das hätte man sich vor einiger Zeit auch nicht vorstellen können, dass es einmal die als chronisch fußlahm geschmähten Sprinter sein würden, die der DLV als vorbildlich hinstellt. Aber in Budapest war es so. Alle Fehler, die Rüdiger Nickel kritisierte, hatte Tobias Unger schon abgestellt. Der 24-Jährige war ja bei der Freiluft-WM 2003 in Paris einer der großen Verlierer. Er war neu im DLV-Team und gehörte auch zu denjenigen, bei denen eine fehlende Leistungskonstanz zutage trat. „Letztes Jahr war ich noch in der Ausbildung, da konnte ich nur fünfmal trainieren in der Woche“, erklärte Unger. Jetzt studiert er, hat seine Trainingsbedingungen professionalisiert, die Umfänge quantitativ und qualitativ gesteigert. „Dann hält die Substanz auch bis zum Ende der Saison“, stellte er zufrieden fest.

Tobias Unger entschloss sich auch aus eigenem Antrieb, mit einem Psychologen zusammenzuarbeiten; diese Hilfe bietet der DLV seit vorigem Herbst allen Interessierten an. Nickel sagt zwar, einen etwaigen Erfolg „kann man nicht in Zentimetern oder Zehntelsekunden ablesen“, aber Unger kann das nur empfehlen: „Ich habe gelernt, mich selbst nicht mehr so schwach zu machen.“ Aus dem Schwaben spricht neuerdings ein gestärktes Selbstbewusstsein. „Es geht trotz allem wieder aufwärts“, versicherte er in Budapest und bezog das auf die ganze DLV-Mannschaft: „Der Teamgeist war besser als in Paris, der Wille ist da.“

Ob das schon diesen Sommer in zählbare Erfolge mündet, wird man sehen. JOACHIM MÖLTER