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Tibet-Krimis von Eliot PattisonEs musste passieren

Wer die Tibet-Krise verstehen will, sollte Eliot Pattison lesen. In seiner fünfteiligen Krimiserie beschreibt der amerikanische Schriftsteller den Konflikt in seiner ganzen Widersprüchlichkeit.

Der Potala-Palast in Lhasa. Bild: dpa

"Tibet ist ein Mönch, der vor einer Dampfwalze sitzt" - in diesem bitteren Ausspruch des nordamerikanischen Autors und Juristen Eliot Pattison steckt das ganze Drama des aktuellen Tibet-Konflikts. "Seit 50 Jahren vernichtet China die tibetische Kultur", klagt der Tibet-Freund aus aktuellem Anlass weiter an. "Nahezu alle großen Tempel und Schreine wurden zerstört und eine Million Tibeter getötet. Beijing hat so viele Immigranten in die Städte des Hochlandes geschickt, dass die tibetische Bevölkerung dort inzwischen in der Minderheit ist. Im vergangenen Jahr hat man begonnen, systematisch Buddha-Statuen auf öffentlichen Plätzen zu zerstören. Die Tibeter stehen unter einem so immensen Druck, dass der Ausbruch von Widerstand unvermeidlich war." Welch umfassenden Schaden Bevölkerung und Kultur Tibets genommen haben, lässt sich in Fernsehdokumentationen, Zeitungsartikeln, Blogs oder YouTube-Filmen nur ansatzweise vermitteln. Aussichtsreicher ist es, sich dem komplexen Tibet-Drama literarisch zu nähern.

Dieser Aufgabe hat sich Eliot Pattison mit Herzblut gewidmet. Seit 1980 ist der in Pennsylvania lebende Autor und ehemalige internationale Investmentberater immer wieder durch China und Tibet gereist. Seine berufliche Mission gab ihm Gelegenheit, die Länder unter ungewöhnlichen Blickwinkeln zu ergründen. Ende der Neunzigerjahre begann er, sein Insider-Wissen in einem fünfteiligen Krimizyklus aufzuarbeiten. Der erste Band, "The Skull Mantra", erschien 1999 und wurde im Jahr darauf mit dem Edgar Allan Poe Award ausgezeichnet. Nahezu zeitgleich kam er als "Der fremde Tibeter" in die deutschen Buchhandlungen. Vier weitere Krimis folgten. Den sechsten schreibt Pattison gerade fertig.

Statt locker-flockige Krimis abzuliefern, gestaltet der Asienkenner seine Romane um den politisch verfolgten chinesischen Ermittler Shan und den buddhistischen Mönch Lokesh so widerspenstig wie die Verhältnisse im Hochland Tibets. Bei Pattisons Krimis muss man bereit sein, einen Satz zwei- oder dreimal zu lesen und Widersprüche im Handeln tragender Charaktere auszuhalten. Denn weder die Geisteswelt eines tibetischen Buddhisten noch die bürokratische Denkweise eines chinesischen Funktionärs lässt sich vom westlichen Leser gänzlich erfassen. Und keine Figur ist einfach nur böse oder gut. Die beiden extremen Standpunkte ohne Vereinfachung so transparent wie möglich darzustellen, ist der wohl größte Verdienst Pattisons. Seine zweite Stärke liegt in der detaillierten Schilderung des auch heute noch existierenden geheimen Tibets. "Tibet ist voller verborgener spiritueller Plätze, versteckter Schreine und abgelegener Pilgerpfade, die bis jetzt noch nicht von den Chinesen infiziert wurden", berichtet der Tibet-Freund. "Wie die Rituale, die ich in meinen Büchern beschreibe, sind auch diese Orte existent. Nur die Charaktere und die Handlungsstränge habe ich erfunden."

Durch den Wahl-Tibeter Shan lernen die Leser eine spirituelle Welt kennen, in der Sandkörner zur inneren Reinigung stundenlang gesiebt und Steine zur Erlangung von Wahrheit gewaschen werden, in der Hände zu Meditationsfiguren geformt und Gebetsketten im Gefängnis aus Fingernägeln gemacht sind, in der alte Mönche sich schützend über einen geprügelten Mithäftling werfen oder einen verstorbenen Peiniger betend ins Reich der Toten geleiten. Zugleich gibt es Straflager für Geistliche und entweihte Heiligtümer, militärische Willkür und die systematische Vernichtung von altem Wissen, das Verbot von Heiligenbildern und den vermeintlichen Wiederaufbau alter Klöster zu Vorzeigezwecken.

Eliot Pattison schreibt mit großer Zärtlichkeit über Tibet. Die negativen Aspekte einer zutiefst religiösen und selbstverständlich auch restriktiven Kultur hätte er sicherlich genauer herausarbeiten können. Doch das ist nicht sein Anliegen. Er stellt sich in die jüngere nordamerikanische Erzähltradition und nutzt das Medium des Krimis, um globale kulturelle, politische und ökonomische Interessenverflechtungen zum Schaden einer ethnischen Minderheit sichtbar zu machen. Denn nach der Meinung von Pattison gibt es auf der Welt kein "eindeutigeres Symbol für den Kampf seelenloser Bürokratien und sinnentleerter wirtschaftlicher Kräfte gegen Tradition, Spiritualität und ethnische Identität" als Tibet. Folgerichtig hat er eine ausgesprochen radikale Meinung zum Thema Tibet, China und Olympiaboykott. Gerade weil er dafür bekannt ist, in seinen Büchern sorgfältig zu differenzieren statt schwarz-weiß zu malen, hat seine Stimme Gewicht: "Der Westen sollte aufstehen und sagen, dass er die Olympiade boykottiert - es sei denn, China lässt eine internationale Diskussion über Tibet und die Rechte der Tibeter zu."

Eliot Pattison: "Der fremde Tibeter" (Amerikanische Originalausgabe 1999), "Das Auge Tibets" (Orig. 2001), "Das tibetische Orakel" (Orig. 2002), "Der verlorene Sohn" (Orig. 2004), alle vier erhältlich als Aufbau Taschenbuch; "Der Berg der toten Tibeter" (Orig. 2007), bei Rütten & Loening

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