Thyssen-Krupp-Projekt in Brasilien: Milizionäre gegen Stahlwerk-Gegner
Lohndumping, Schwermetalle und Drohanrufe bei betroffenen Fischern: Eine Megabaustelle von Thyssen-Krupp in der Nähe von Rio sorgt für Ärger in Brasilien.
PORTO ALEGRE taz Es war die Stunde der Fischer. Auf einer Anhörung der Menschenrechtskommission des Landesparlaments von Rio in der vergangenen Woche wurden schwere Vorwürfe gegen das deutsch-brasilianische Konsortium CSA erhoben, an dem Thyssen-Krupp 90 Prozent hält. „Die Verpflichtung von Milizionären durch die Sicherheitsfirma ist eine Tatsache“, sagte der Kleinfischer Marcos Garcia aus der Sepetiba-Bucht im Westen des Bundesstaats Rio de Janeiro, wo bis Ende des Jahres das größte Stahlwerk Lateinamerikas fertiggestellt werden soll. „Sie bedrohen unser Leben, für Thyssen sind wir irrelevant.“
Sein Kollege Luís Carlos da Silva, der Anfang Februar untergetaucht war und in Begleitung von Leibwächtern erschien, berichtete von Drohanrufen im Morgengrauen. Die anwesenden Firmenvertreter gaben sich überrascht, räumten jedoch ein, die beschuldigten Sicherheitsleute auf den vorgelegten Fotos zu kennen. Überzeugend wirkte das nicht, denn die Fischer und befreundete Organisationen hatten seit Wochen auf den Fall da Silva hingewiesen – mit mäßigem Erfolg. Eine breitere Öffentlichkeit erfuhr ausgerechnet durch eine CSA-Anzeige in den überregionalen Blättern Anfang März von dem Konflikt.
Bis dahin waren die Informationen über Menschenrechtsverletzungen in der Sepetiba-Bucht nur in der linken Szene zirkuliert. Am Rande des EU-Lateinamerika-Gipfels im letzten Mai wurden Thyssen-Krupp und sein Partner, der Bergbauriese Vale, von einem Aktivistentribunal in Lima symbolisch verurteilt – wegen Zerstörung von Mangrovenwäldern, Verschmutzung der Bucht durch Schwermetalle und existenzieller Bedrohung von 8.000 Kleinfischerfamilien. Bei der brasilianischen Justiz sind mehrere Klagen anhängig.
Und das Sündenregister ist noch länger. Die Erteilung der Umweltlizenz sei irregulär, führte die Ökonomin Sandra Quintela jetzt vor der Menschenrechtskommission aus, die lokalen Behörden würden von der Firma vereinnahmt. Über die Verpflichtung von Arbeitern aus Nordostbrasilien und China finde Lohndumping statt. Um die größte Auslandsinvestition der letzten zehn Jahre zu sichern, rollte die brasilianische Regierung Thyssen-Krupp den roten Teppich aus und setzte sich über Proteste der Gewerkschaften hinweg. Die staatliche Entwicklungsbank BNDES half mit einem günstigen 500-Millionen-Euro-Kredit nach, die Regionalregierung von Rio gewährt großzügige Steuerbefreiungen.
Auf der neun Quadratkilometer großen Baustelle 100 Kilometer westlich von Rio entsteht eine integrierte Stahlschmelze mit eigener Kokerei, Hafen, Kraftwerk, Sinteranlage, Hochöfen und Stahlwerk. Die gesamte Produktion, jährlich fünf Millionen Tonnen Stahlplatten, soll in den Export gehen – nach Duisburg und in das neue Thyssen-Krupp-Werk in Alabama.
Brasilien steuert das ergiebigste Eisenerz der Welt und billige Arbeitskräfte bei, ist aber am weiteren Veredelungsprozess nicht mehr beteiligt. Linke Kritiker sehen darin eine Festschreibung ihre Landes auf eine quasi koloniale Rolle. „Uns bleiben die ökologischen und sozialen Kosten“, sagt Sandra Quintela.
Doch auch in der Konzernzentrale schrillen mittlerweile die Alarmglocken. 2004 waren für das Werk in Brasilien 1,3 Milliarden Euro veranschlagt worden, derzeit liegen die Kosten bereits bei 4,5 Milliarden. Die erste Stahlplatte wird frühestens im Dezember ausgeliefert, ursprünglich sollte die Anlage schon laufen. Plötzlich ist von Managementfehlern die Rede. Mit ersten Konsequenzen: In Düsseldorf wurde der bisher für das Stahlgeschäft zuständige Vorstand Karl-Ulrich Köhler entlassen.
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