piwik no script img

■ Thüringischer Wahlkampf auf Kosten der MeinungsfreiheitScheinfrieden in Saalfeld

So dekliniert sich Wahlkampf 1998. Richard Dewes, sozialdemokratischer thüringischer Innenminister, Landesvorsitzender der SPD, achtet sorgsam auf seine WählerInnen. Denen läßt er nicht nachsagen, daß sie rechter seien als andere. Und noch eines läßt sich selbst ein sozialdemokratischer Innenminister nicht nachsagen: daß ein Sozialdemokrat nicht für Recht und Ordnung sorgen kann.

Kein Krawall in Saalfeld. Das hat Dewes erreicht – doch dies war das einzige Ziel, das er vorgestern realisieren konnte. Dennoch haben über 4.000 Menschen, von GewerkschafterInnen aus Frankfurt am Main über Kirchengruppen, die Rosen an friedliche Demonstranten verteilten, bis zu autonomen AntifaschistInnen aus Thüringen, Sachsen und dem übrigen Bundesgebiet gegen rechte Gewalt demonstriert. Dabei haben sie fast unfreiwillig publik gemacht, was in Saalfeld niemand hören will: daß manche Gebiete sich tatsächlich dem neonazistischen Propagandawort der „national-befreiten Zonen“ annähern.

Nicht erreicht hat der Innenminister außerdem, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit zu schützen. Wer eine ganze Stadt absperrt, Hunderte von DemonstrantInnen nicht zu einer Kundgebung läßt, weil sie, wie ein Dewes-Mitarbeiter sagte, „gewaltbereit“ seien, auch wenn „keine konkreten Erkenntnisse“ darüber vorlägen, schafft keinen Frieden. Er hat politisch versagt.

Rechte Kameradschaften bestimmen weite Teile der Jugendkultur in der Region, auch die Erkenntnisse des thüringischen Landesamtes für Verfassungsschutz zeigen, daß der Kreis eine Hochburg rechter Gewalt ist. Eine antifaschistische Kundgebung – gesellschaftlich breit getragen und auch von dem CDU- Mann Michel Friedman unterstützt – nahezu bis zur Verhinderung zu erschweren, ist das falsche Zeichen angesichts der rechten Gewalt. Erschreckend ist inbesondere die Begründung der Demonstrationsauflagen: Weil 300 Neonazis gegen eine antifaschistische Demonstration mobilisieren, werden letztere aus der Stadt verbannt.

Diese Politik wertet rechte Organisationen auf und bestärkt Neonazis geradezu in ihrem Treiben. Krawall zu verhindern ist die Aufgabe von Innenminister und Polizei. Aber ein Innenminister muß auch dringend Flagge zeigen gegen die Bemühungen der Neonazis, ihre Propaganda von den „national-befreiten Zonen“ zu verwirklichen. Eigentlich könnte da nichts gelegener kommen als ein friedlicher Aktionstag gegen Rassismus. Barbara Junge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen