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Archiv-Artikel

Then I am the prussian Icarus

Jetzt schlägt’s dreizehn: Dylan singt Biermann. Die musikalische Entdeckung des Jahres

Dylan hört Biermann singen und ruft dazwischen: „Who the fuck is that? Some tortured frog?“

Wie man weiß, hat Wolf Biermann vor kurzem Bob Dylans Gedicht „Eleven Outlined Epitaphs“ in eine Art Deutsch übersetzt und ist dabei mit dem Original ungefähr so pfleglich umgegangen wie ein Rudel Hyänen mit einem Einhornkadaver.

„Ich bilde mir ein, dass ich Sinn und Form des Werkes einigermaßen lebendig und angemessen frei in mein Deutsch gebracht habe“, schreibt Biermann im Nachwort zu seiner Übersetzung, und jetzt kriegt er’s zurück: Soeben ist im Luxemburger Label Yellow Cat Records die CD „Something To Remember – Dylan Sings Biermann“ erschienen. Das ungewöhnlich liebevoll gestaltete Booklet gibt Auskunft über die Umstände der Session.

Am 13. Juni 1984 trat Dylan nach Joan Baez und Santana in der Berliner Waldbühne auf. Joan Baez hatte Biermanns LP „Trotz alledem“ von 1978 dabei und legte sie im Backstage-Bereich auf den Plattenteller. Den historischen Moment gibt die CD in allen Einzelheiten wieder: „Da, wo die Friedrichstraße sacht / Den Schritt über das Wasser macht / da hängt über der Spree / Die Weidendammer Brücke. Schön / Kannst du da Preußens Adler sehn / wenn ich am Geländer steh“, singt Biermann von der Platte, und Dylan ruft dazwischen: „Who the fuck is that? Some tortured frog?“ Joan Baez erwidert: „No, it’s Wolf Biermann, a german poet and singer. He’s an old friend of mine. Calls himself the german Dylan.“ Im Hintergrund kräht Biermann von der Platte weiter: „… dann steht da der preußische Ikarus / mit grauen Flügeln aus Eisenguss / dem tun seine Arme so weh …“ – „He’s a great admirer of yours“, fügt Joan Baez hinzu, und Dylan sagt: „O yeah? Play it again. Tommy, you’ll translate, and I’ll give that german Dylan somethin’ to remember.“

Der besagte Tommy, ein Mann mit recht mangelhaften Englischkenntnissen, wie sich bald zeigt, flüstert Dylan eine Simultanübersetzung zu, und Dylan singt sie nach: „There, where the Frederick-Street softly / makes the step over the water, / there’s hangin’ over the Spree / the Weidendammer Bridge. Beautifully / you can see there the prussian eagle, / his arms are hurtin’ very badly …“ Später, bei den Zeilen „Then I am the prussian Icarus / with grey wings out of iron“, bleibt Dylan anderthalb Minuten lang stecken, weil er lachen muss, doch er besteht darauf, fast die gesamte Biermann-LP nachzusingen, in der grottenschlechten Stegreifübersetzung des laienhaften Dolmetschers Tommy – vielleicht nur aus kindlicher Freude an Trash und Schabernack, vielleicht aber auch, um Joan Baez zu ärgern, der die Verspottung ihres Freundes Biermann hörbar missfällt. „You shouldn’t do that, Bobby“, ruft sie einmal, in genervtem Tonfall, als Dylan die Zeile „Trotz alledem und alledem“ als „Nevertheless and levertheness“ verulkt hat.

„Und als ich von Deutschland nach Deutschland / Gekommen bin in das Exil / Da hat sich für mich geändert / So wenig, ach! und so viel …“ Dieses Bekenntnis von Biermann erfährt in Dylans Version eine interessante Verfremdung: „And when from Germany to Germany / I came into the exile, / there haven’t been many changes for me, uuh, outch, aargh, cough, cough … my voice is gone … can’t match the sound … that guy’s too much for me!“

Der musikalische Höhepunkt dieser grandiosen, auch viele altgediente Dylan-Fans verblüffenden Aufnahme ist „The Gorlive Song“. Da pustet Dylan synchron zu Biermanns Refrain „Gorleben soll leben! / Ja, ja, es soll leben / – der Rest der Welt soll’s auch“ höchst melodisch in den Hals einer leeren Weinflasche, bevor er am Ende noch einmal mitsingt, und ein ganzer Chor betrunkener Roadies stimmt begeistert ein: „Gorlive shall live! / Yes, yes, it shall live, / and the rest of the world shall live too …“

Dass die Stimmung, bis auf die von Joan Baez, höchst aufgeräumt war, zeigen auch die Fotos im Booklet. Da sieht man, wie Dylan und Carlos Santana einander mit Weinhumpen zuprosten, und auf dem prächtigsten Foto hält sich Dylan neben einem Biermann-Porträt eine fransige, als Biermann-Schnauz-Imitation gedachte Gewürzgurke unter die Nase. So grausam hat Dylan sonst nur seinen sanften Nachäffer Donovan bloßgestellt.

Es ist sicherlich nicht in Dylans Sinn, dass solche privaten Kalbereien veröffentlicht werden, aber sie sind puppenlustig, und wir freuen uns doch alle, wenn es etwas zu lachen gibt, und sei es auch nur aus Schadenfreude an der Verhohnepipelung Wolf Biermanns, der sich diese Misshandlung durch Dylan redlich verdient hat. Wegen alledem. GERHARD HENSCHEL

„Something To Remember – Dylan Sings Biermann. Tracks: Ballad of the Prussian Icarus – Nelli, my Apple-Snout – German Misery – Nevertheless and Levertheness – Maybe I’m Going Astray – Now They’re Complaining Big About Terror – Picket at Euro-Quay – The Gorlive Song“. Yellow Cat Records Luxembourg, 25 €, Best.-Nr. YC 71334