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Themenläden und andere Clubs6.200 Mark für eine maßgeschneiderte kugelsichere Weste

■ Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Kino. Plötzlich eröffnen drei Schüler vor Ihnen das Feuer und laufen killermäßig durch die Sitzreihen

Eine Sache kann ich überhaupt nicht empfehlen: sich im CinemaxX einen Brutalo-Film reinzuziehen. Da kann man nicht sicher sein, dass man heil wieder rauskommt. Neulich habe ich so einen Fall erlebt. Mitten in der Fight-Club-Vorstellung kamen drei Jugendliche laut quatschend herein und haben sich vier Reihen vor uns in die Stühle gepflanzt. Ich bin mir sicher, um ein Haar wären die Typen Amok gelaufen, so provozierend, wie die sich benommen haben.

Andere Leute haben diesen brenzligen Zwischenfall vielleicht gar nicht so wahrgenommen. Wie zum Beispiel meine Freundin, die neben mir saß. „Die ballern bestimmt gleich los!“, habe ich zu ihr gesagt, um sie schon mal auf die Apokalypse vorzubereiten. „Verrat doch nicht alles!“, hat sie nur geantwortet und sich weiter dem Geschehen auf der Leinwand gewidmet. Absolut gelassen hat sie ihrem Amoktod entgegengesehen.

„Na ja, wahrscheinlich hat die nicht den geringsten Schimmer, was da draußen abgeht!“, habe ich gedacht. „Zum Glück schalte ich jeden Tag die Nachrichten ein und checke, was wieder Grauenhaftes in der Welt passiert ist!“ Leider bekomme ich seit neuestem davon Depressionen.

Langsam beunruhigt mich nämlich, wie viele Schüler Amok laufen. Das scheint inzwischen totaler Kult zu sein. Da ist es besser, eine kugelsichere Weste zu tragen. Ich habe mich informiert. So eine maßgeschneiderte unsichtbare Weste kostet zirka 6.200 Mark. Es ist sehr wichtig, dass die Weste maßgeschneidert und unsichtbar ist, damit dem Schützen nicht gleich klar ist, dass er mir besser sofort in den Kopf ballert.

Und genau diese Weste hätte ich am liebsten gehabt, als die erwähnten Jugendlichen das Kino stürmten. Ich dachte: „Jetzt ist mein Leben zu Ende.“ Diese drei Typen wollen sich von der Aggression im Film aufheizen lassen und uns Zuschauer mit ihrem lauten Gequatsche ärgern, damit wir uns aufregen. Und tatsächlich, noch bevor ich unauffällig aus dem Kino schleichen konnte, hat eine Frau von hinten gerufen: „Haltet mal die Klappe!“ „Mann, die traut sich ja was!“, habe ich gedacht und sofort Schweißausbruch bekommen. Mir war klar: „Gleich eröffnen die das Feuer!“ Und ich mittendrin. „Hätte ich bloß eine kugelsichere Weste an!“

Auf der Leinwand stürzen die Wolkenkratzer ein, Edward Norton schoss sich mit der Knarre in den Kopf und hat noch kurz einen coolen Spruch gerissen. „Du hast mich in einer schwierigen Phase meines Lebens kennengelernt!“ Alle haben gelacht.

Da ist ja wohl klar, was das potenziellen Amokläufern vermittelt. „He, wenn du dich gerade in einer kniffligen Phase deines Lebens befindest, kannst du ruhig Amok laufen. Wenn du Lust hast, kannst du voll drauflosballern. Da lachen noch alle drüber!“ Ich wusste genau: So denken die drei Jugendlichen. Die laden ihre Kanonen durch, rennen killermäßig durch die Sitzreihen und richten ein ordentliches Blutbad an.

Schnell habe ich geprüft, ob ich mich im Notfall unter meinen Sitz quetschen kann. Leider passte da gerade mal ein Schälchen mit Taco-Chips drunter. Also habe ich gedacht, ich drücke mich lieber an meine Freundin und hoffe, dass sie sich im Ernstfall vor mich wirft. Zu meiner Erleichterung ist bei dieser Kinovorstellung noch mal alles gut gegangen. Aber beim nächsten Brutalo-Film kann das schon ganz anders aussehen. Nirgendwo lässt es sich besser Amok laufen als in einem voll besetzten Kino, in dem ein harter Actionfilm läuft. Da kann man sich schön von dem Geballer inspirieren lassen und selber loslegen.

Solange im CinemaxX kein Waffensensor am Eingang aufgebaut wird, um die Besucher zu filzen, gehe ich erst mal nicht mehr hin. Das wird mir echt zu gefährlich. Alexa Hennig von Lange

Alexa Hennig von Lange ist Schriftstellerin und lebt in Berlin. Ihr Roman „Ich bin's“ erscheint in diesem Monat bei Rogner & Bernhard.

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