Theaterschule: Der Charme des Anspruchs
Wenn man einstellige Jubiläen würdigt, muss etwas Besonderes dahinter stecken: Die Theaterschule "Junge Akteure" aus Bremen arbeitet seit fünf Jahren daran, die Lücke zwischen Schultheater und professionellem Schauspiel zu schließen.
Dass Bremen gerade Halbzeit als "Kulturhauptstadt Europas 2010" hätte, ist vor Ort nicht allzu vielen bewusst. Erstens ist Essen stattdessen am Drücker - aus unerfindlichen Gründen hat die Pott-Metropole vor fünf Jahren das Rennen unter den zwei Dutzend deutschen Kandidatenstädten gemacht. Und zweitens bekommt Bremen zwar derzeit einen Kunsthallen-Anbau, ansonsten jedoch hat man hier eher das Gefühl und die Gewissheit, in der Hauptstadt des Haushaltsnotstands statt in einem kulturell prosperierenden Boom-Zentrum zu leben. Man muss schon auf die Entwicklungen der Sorte klein & fein gucken, um Reste des Kulturhauptstadtkandidatur-Elans zu erkennen. Dazu gehört die Theaterschule "Junge Akteure".
Die bundesweit erste Theaterschule, in der Kinder und Jugendliche kontinuierlich unter professioneller Anleitung arbeiten können, gehörte zu den zahlreichen, auf zunächst zwei Jahre befristeten Projekten, mit denen sich Bremen als Kulturstadt versuchte in Position zu bringen. Mittlerweile ist die Theaterschule fünf Jahre alt: Ihr gelang als einzigem "Hauptstadt"-Projekt der Übergang in die institutionelle Förderung durch das Kulturressort - ein geradezu antizyklischer Vorgang.
Fragt sich also, was das Besondere an den "Jungen Akteuren" ist. Bremen verfügt schon lange über eine entwickelte Schultheater-Kultur, auch als reguläres Unterrichtsfach hat Darstellendes Spiel ein Standing. Nichtsdestotrotz fehlte der Nachwuchsszene "die professionelle Mitte", wie Dagmar von Blacha sagt. Ihre "StArt-Stiftung" gab der Schule eine wichtige Anschubfinanzierung. Die Projekte, für die sich Jugendliche in Auswahl-Workshops bewerben können, konfrontieren sie mit der Haut-und-Haar-Realität des "echten" Theaters: Nach langen Probezyklen in diversen Ferienwochen mündet die Inanspruchnahme der TeilnehmerInnen in die Totalität der Prä-Premierenphase. Immerhin werden 55 Vorstellungen pro Spielzeit gewuppt. Daneben gibt es allgemein zugängliche offene Werkstätten und kontinuierliches Basistraining. Pro Spielzeit erreichen diese gestaffelten Angebote rund 200 TeilnehmerInnen zwischen zehn und 24 Jahren. Neuerdings gibt es sogar einen Kurs für Vier- bis Sechsjährige.
Aufschlussreich ist das Verhältnis des Bremer Theaters zu "seiner" Theaterschule: Zunächst hatte es gar keines. Schon die Kinder- und Jugendsparte des Hauses hat eine Sonderstellung, der sich noch in dessen Namen "Moks" widerspiegelt: Er verweist per Abkürzung auf den in den 70er Jahren gestarteten "Modellversuch Kunst und Schule". Der hat sich zu einer bemerkenswert kreativen Theatersparte verstetigt, die lange zwei oberste Dienstherren hatte: den Generalintendanten und den Bremer Bildungssenator. Dass die von dieser Zwitter-Konstruktion gezeugte "Schule" nichtsdestoweniger offizieller Teil des Theaters ist, war etwa dem (gerade noch) aktuellen Intendanten Hans-Joachim Frey lange unbekannt.
Die Existenz im Windschatten hat Vorteile: Statt am gutbürgerlichen Goetheplatz zu sitzen wie das "richtige" Theater, haben die "Jungen Akteure" ihr Hauptquartier mitten im multikulturell geprägten "Viertel". Der eigene Sitz schafft Sicherheit und Freiraum, er ist Treffpunkt und Proberaum in einem. In der Summe ergibt das - zusammen mit der Kontinuität und potentiellen Professionalität der Arbeit - etwas faktisch anderes, als angehängter "Jugendclub" eines Stadt- oder Staatstheaters zu sein.
Erst langsam wird den Mitarbeitern im großen Haus bewusst, dass die "Jungen Akteure" zu ihnen gehören. Nicht zuletzt die technische Unterstützung steigt, anders wäre ein Großprojekt wie der gerade inszenierte "Open-Space-Jubiläums-Walk" auch kaum möglich gewesen: Es ist ein Stadtteil-Stationentheater mit 90 Mitwirkenden - 70 vor Ort, 20 im "Callcenter" -, die die Zuschauer per Handy auf individuellen Routen durch die Straßen lotsen. Ein ambitioniertes Spiel mit der Ungewissheit, ob die Begegnungen und Interaktionen im öffentlichen Raum Zufall oder Inszenierung sind.
Mittlerweile haben die "Jungen Akteure", die sich anfangs nur auf Gent oder Basel als Referenzmodelle beziehen konnten, Gesellschaft bekommen. Am "Jungen Schauspielhaus" in Hamburg baut Klaus Schumacher, der frühere Moks-Leiter, ebenfalls eine Theaterschule auf - und kann dabei auf weit größere Ressourcen zurückgreifen als die Bremer. Für Thomas Spang, Theaterreferent der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel, sind die "Jungen Akteure" dennoch nach wie vor "ein bundesweites Vorbild und Modell".
Das heißt freilich nicht, dass sie mit den 150.000 Euro vom Kulturressort üppig ausgestattet sind: Das aktuelle Leitungsteam, Tanja Spinger und Martin Thamm, musste sich zunächst mit Fünfmonatsverträgen begnügen. Inzwischen langt es für vier feste MitarbeiterInnen, dazu kommen zwölf feste Freie für Schulprojekte, Theaterwerkstätten und Workshops.
In den vergangenen vier Jahren haben die "Jungen Akteure" ihre jährlichen Eigeneinnahmen verdoppelt, auf immerhin 24.000 Euro, worin sich zwei entscheidende inhaltliche Entwicklungen spiegeln: Zum einen ist die Zahl der Beiträge zahlenden Teilnehmer signifikant gestiegen. Und einige von ihnen erarbeiten Stücke, für die man ernsthaft Tickets verkaufen kann. Für Produktionen wie "Süß wild gefährlich & stolz" über die Tücken der Identitätssuche hätten die "Jungen Akteure" sogar Sammel-Abos anbieten können: Einige Zuschauer kamen bis zu fünfmal hintereinander.
Auch die überregionalen Erfolge sind beachtlich, wie sich nicht zuletzt in den häufiger werdenden Festival-Einladungen spiegelt. Spingers Inszenierung von Tina Müllers "Bikini" beispielsweise, einer Persiflage auf Körperkult und die auf Schönheitswahn fixierte Mädchenkultur, wurde als einzige Produktion mit nicht professionellen Darstellern zum 1. Norddeutschen Kinder- und Jugendtheaterfestival am Oldenburgischen Staatstheater eingeladen. Im September tourt sie auf Einladung des Dubliner Goetheinstituts drei Wochen durch den Nordwesten Europas.
Zudem wird mit den "Jungen Akteuren" wahr, wovon im Moks immer geträumt wurde: gemeinsame, sorgfältig inszenierte Aufführungen von Schauspielern und Jugendlichen. Pro Spielzeit gibt es eine Produktion, bei der Moks-SchauspielerInnen mit den "Jungen Akteuren" ein gemeinsames Ensemble bilden. Das statusübergreifende Miteinander auf der Bühne erhöht den Professionalitätsanspruch der Produktion, zum anderen steigert es im Publikum das Peer-Erlebnis: Wann sonst sieht man Gleichaltrige in derart ausgefeilten Inszenierungen? Das "Schul"-Konzept ist aufgegangen.
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