Theaterpremiere in Hamburg: Smarte Oberfläche

Roland Schimmelpfennigs Stück „Spam“ erzählt vom Abbau der Rohstoffe, die in unseren Handys landen. Den besten Auftritt hat Bühnenbildner Wilfried Minks.

Versprüht melancholischen Charme als Kapitänin: Katja Danowski Bild: dpa

Mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass in jedem Mobiltelefon ein Rohstoff steckt, den man das Gold des Kongo nennt. Coltan wird in Zentralafrika abgebaut, unter ausbeuterischen Bedingungen, aber wer denkt beim Kauf seines Smartphones schon darüber nach? Oder nutzt ein Fairphone?

Das Metall steckt in kleinen Mengen in jedem Gerät, das Geschäft damit ist groß, die Rat- und Hilflosigkeit im Umgang damit auch. Man kann betroffen sein oder anklägerisch – oder wie der Dramatiker Roland Schimmelpfennig den Abhängigkeiten und Verwicklungen in ihrem blinden Lauf folgen.

In seinem neuen Theaterstück „Spam – Fünfzig Tage“, von ihm selbst am Schauspielhaus Hamburg am vergangenen Freitag uraufgeführt, ist von einer solchen Erzmine die Rede, in der sich eine Tragödie wie aus der dritten Welt entspinnt. Der Stollen bricht bei Regen ein, ein Arbeiter wird verschüttet. Fortan wird nicht mehr nach Erz gegraben, sondern nach dem Toten. Gefunden wird nicht nur eine Leiche, sondern ein ganzer Keller voller Leichen, die ans Tageslicht befördert werden: 400 Tote, die der Minenchef aus der Grube buddelt, bis er selbst am heruntergezählten fünfzigsten Tag stirbt.

Vorhersehbar ist sein Ende jedoch nicht. Denn das Sozialdrama ist noch in die Irrealis eines Märchens verpackt, das von einem Mann berichtet – einem Riesen, durch dessen Herz ein Zug fährt, mit vielen Reisenden darin und ihren Handys am Ohr. Nicht nur in literarischen Tiefendimensionen weidet der Text, sondern auch in fragmentarisierten Kommunikationsmustern, Gesprächsfetzen werden wie unter Wiederholungszwang eingestreut.

„Spam“. Deutsches Schauspielhaus Hamburg. Aufführungen: 1., 6., 24. und 30. Juni, jeweils 20 Uhr, Karten ab 14 Euro

Auf der Bühne mobilisiert Schimmelpfennig abwechselnd archaischen Schmutz und den Glanz digitaler Oberflächen. Die Schauspieler, fahl-gelb beleuchtet wie von Grubenlampen, schmieren sich mit Lehm ein, wenn sie von einbrechenden Schächten berichten. Dann werden Zahlencodes auf rotierende Glaswände projiziert, zwischen denen die Schauspieler kurz wie im Labyrinth herumirren. Ein irrlichternd schöner Moment im satten I-Pad-Realismus, der hier vertraut und sehr frisch rüberkommt. Akustisch lullen einen Dolby-Surround-Effekte ein, Klingeltöne werden aus unterschiedlichen Bühnenecken eingespielt. Oder es dröhnt Sambamusik wie aus einem Hinterzimmer, die dann leiser wird, als wäre eine Tür geschlossen worden. Für einen Moment hat sich zumindest akustisch der Spalt zu einer anderen Welt geöffnet.

Das Telefon als Bombe

Näher ran kommt Schimmelpfennig allerdings nicht an die westliche Verantwortung für den menschenunwürdigen Bodenschatzabbau. Auch nicht an die hausgemachten Kommunikationsprobleme der omnipräsenten Handys. Auf der Traumebene des Textes deutet sich an, dass das Telefon zur Bombe umgebaut den Zug zum Entgleisen bringt – die Technik fliegt einer Gesellschaft um die Ohren. Auf der Bühne wird das allerdings plan wegerzählt.

Als Autor ist Schimmelpfennig eigentlich sehr versiert darin, scheinbar zufällige Ereignisse in poetische Gesetzmäßigkeiten zu verwandeln. In Stücken wie „Der goldene Drache“ oder „Die vier Himmelsrichtungen“ hat er beispielhaft einen Weg gefunden, von Gewalterfahrung und Schrecken zu erzählen, die man nicht selbst erlebt hat, ohne sie der Kunstgewerblichkeit preiszugeben. „Spam“ ist schwächer, es geht um viel zu vieles, die gute Absicht ist immer erkennbar, aber die Inszenierung wird dem Thema nicht gerecht.

An den Schauspielern liegt es nicht – die mühen sich, ihre Kunstfiguren mit Fleisch und Blut zu füllen. Katja Danowski versprüht melancholischen Charme als Kapitänin im glamourösen Mae-West-Look, oder Elizabeth Blonzen zeigt als orakelnde Köchin immer ein stummes Entsetzen, das von ihr nie übertrieben wird.

Den besten Auftritt hat allerdings Bühnenbildner Wilfried Minks, mittlerweile 84 Jahre alt, der beim Schlussapplaus am Stock auf die Bühne geführt wird. Sein Bühnenbild zu „Spam“ ist ein collagehafter Kunstraum.

Den Bühnenhintergrund schmückt dabei ein auf den Kopf gedrehtes Bild des Turmbaus zu Babel, der sich zu einem archaischen Krater umkehrt und sich mit digitalen Projektionen mischt. Das sieht einfach verdammt gut aus, dafür lohnt sich dieser Abend. Öffnet Assoziationen einer Welt, in der Glanz und Elend korrespondieren, während der Kernkonflikt leider weit weg bleibt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.