Theaternachwuchs trifft sich: „Ich möchte, dass der Flirt weitergeht“
Die Hamburger Theaterregisseurin Paulina Neukampf ist zum Theatertreffen des „Körber Studio Junge Regie“ eingeladen.
Bei „FaustIn and out“ schaut der Zuschauer gut eine Stunde lang in einen Keller. Wo es dunkel und bedrückend eng ist, einerseits. Wo andererseits sieben Frauen leben, die um ihren Platz in der Welt ringen, die von ihren Depressionen erzählen, die schwanger werden, die eine Ausgabe des Faust gebären. Die sich ins Wort fallen, die minutenlang hysterisch lachen, die wieder ernst und auch verzweifelt werden und die vor allem sprechen und sprechen und sprechen.
Dabei kann der Bühnenkeller auch ganz real genommen werden: als der Keller, in dem Josef Fritzl 24 Jahre lang seine Tochter einsperrte. Als das Verlies des Wolfgang Priklopil, der Natascha Kampusch acht Jahre lang gefangen hielt. Und er geht eben auch als Auerbachs Keller durch, in dem Mephisto Faust die Welt neu erklärt, nach Männerart - damit die Frau nicht länger dieses große Rätsel bleibt.
Ganz einfach war es für Paulina Neukampf nicht, das Stück im dritten Jahr ihres Regiestudiums auf die Bühne zu bringen: „Jelinek sagt ja, dass ihr Stück ein Sekundärdrama sei“, erzählt sie, „und daher nur im Zusammenhang mit Faust 1 und Faust 2 oder dem Urfaust aufgeführt werden darf.“ Also schickte sie der Autorin eine E-Mail: „Ich habe ihr geschrieben, dass ihre Gründe absolut verständlich seien, wir aber für unsere Studienprojekte die Vorgabe haben, dass ein Stück nicht länger als 60 Minuten sein darf und ich es so gerne machen möchte.“
Und sie präsentierte Jelinek eine Idee: Während des Stücks würde auf einem kleinen Monitor die Filmfassung des Faust von Friedrich Wilhelm Murnau aus dem Jahr 1926 zu sehen - Faust wäre also die ganze Zeit anwesend! „Sie war sehr angetan - und als sie erfuhr, dass die Premiere im Thalia Gaußstraße sein soll, bot sie selbst eine Brücke an: Im Thalia-Haupthaus werde ja gerade Faust 1 und 2 gegeben, von daher ließe sich das verbinden.“
Wie sie überhaupt zum Theater gekommen sei? Sie lacht, und sie sagt: „Das ist eine dieser schwierigen Fragen, warum man sich im Leben für etwas entscheidet, was man schon immer gespürt hat - es gibt keine klare Antwort. Ich könnte damit anfangen, wie ich schon mit fünf Jahren etwas gespielt habe, aber das macht ja jedes Kind. Von daher braucht man das nicht zu mythologisieren.“ Nur so viel: „Was mich am Theater so sehr anzieht, das ist diese Parallelwelt, die für mich viel realistischer ist als unsere Welt; und wo man viel komprimierter die Dynamiken zwischen Menschen sehen und dann untersuchen kann.“
Sie beharrt überhaupt darauf, das ein Rest Rätsel bleibt: „Warum soll man alles bis zum Ende benennen und noch bis ins Kleinste durchdringen? Ich möchte, dass der Flirt mit dem Theater weitergeht, so wie ich auch zunächst keine Ahnung habe, wenn ich inszeniere, ob das gut ist. Ich kann nur sagen: Da ist eine verrückte Energie, die mir gefällt; da ist Potenzial.“
Sie wächst in der Kleinstadt Miedzyzdroje auf der Insel Wolin auf. Die Ostsee liegt vor der Haustür, 15 Kilometer sind es bis zur deutschen Grenze. „Deutschland war mir immer sehr nahe, man traf immer wieder Deutsche. Ich habe auch Deutsch in der Schule gehabt, auch wenn ich lange nichts anderes sagen konnte als ,Ich heiße Paulina und komme aus Polen‘.“ Sie studiert technische Kybernetik, wechselt zu polnischer Philologie, spielt nebenher Theater in freien Projekten, ist auch in Sachen Performances unterwegs, arbeitet als Radiojournalistin, als Sprecherin. 2004 macht sie ihren Abschluss als Lehrerin und immer wieder unterrichtet sie Polnisch.
Ein Schweizer aber wird sie erst einmal nach Japan einladen. Ein Butoh-Tänzer und sie selbst werden in dem Jahr, das sie in Japan verbringt, dreimal die Woche Butoh-Tanzunterricht nehmen. Sie tritt nie auf, aber sie lernt die Kraft und die Präsenz des Körpers zu schätzen, nicht unwichtig für ihre heutigen Regiearbeiten. Dann will der Schweizer zurück ins Deutschsprachige.
Wohin geht man dann, wenn man jung ist und voller Ideen, aber ohne viel Geld? Man geht nach Berlin. „Wir hatten am Anfang kaum Freunde, wir suchten uns erste, kleine Jobs, aber in Berlin geht das, dort machen das viele so, in Hamburg wäre das nicht gegangen, wo man umgeben ist von Leuten, die viel Geld haben oder die viel Geld verdienen.“
Nach Hamburg führt sie das Unterrichten und in gewissen Sinne auch Luk Perceval, der seit 2009 leitender Regisseur am Thalia-Theater ist. „Ich kannte seine Inszenierungen von der Berliner Schaubühne her, doch ich wusste gar nicht so genau, wer dieser Luk Perceval eigentlich ist. Aber ich habe mich hingesetzt und ihm geschrieben.“ Sie schlägt ihm vor, er solle sie als Schauspielerin besetzen. Davon will er nichts wissen, doch er bietet ihr an, dass sie ihm, wann immer es geht, bei seiner Arbeit zuschauen kann.
Ein Freund bringt sie schließlich auf die Idee, Theaterregie zu studieren. Und zwar an der Theaterakademie in Hamburg, nicht an der Ernst-Busch-Schule in Berlin. Für deren brachialen Stil, Schüler erst auseinanderzunehmen und dann wieder zusammenzusetzen, sei sie schon viel zu erfahren und daher ungeeignet. Vier Jahre dauert ihr Studium, ihre Diplominszenierung wird Ödön von Horvaths „Geschichten aus dem Wiener Wald“.
Aber jetzt wirft sie sich mit ihrer Jelinek-Fassung ins Getümmel. Zwei Tage hat sie Zeit, auf der bisherigen Arbeit aufzubauen, alles noch einmal aufzufrischen. Viel Zeit ist das nicht. Aber es wird schon reichen. Und wenn in Hamburg danach niemand auf sie zugehen sollte: Lars-Ole Walburg, Intendant des Staatstheaters Hannover, hat sie jüngst für eine Produktion engagiert.
Festival „Körber Studio Junge Regie“: bis Sonntag, Thalia Gaußstraße, Gaußstraße 190, Hamburg
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